Schafe in Irland


von Sarah Wassermair

"Du könntest deine nächste Kolumne ja Drehbuchschreiben ist eine Sache, Bergsteigen eine andere nennen", sagt der Vater und beweist somit ein unheimliches Gespür für das Offensichtliche.

"Nö", japse ich und klammere mich an ein Büschel Heidekraut: "Die nächste Kolumne nenn ich Familienurlaub, der: Veranstaltung, bei der man mit den Lieben in der Ferne bestätigt bekommt, warum man die Lieben lieber aus der Ferne liebt."

"Suder nicht, marschier."

Ich gehorche und halte mich mit Rachefantasien aufrecht, die darum kreisen, im Internet kompromittierende Soundfiles über den Herrn Vater zum Download anzubieten. Was ich natürlich niemals tun würde. Bitte HIER klicken.

Fünfzehn Minuten und sehr viel Heidekraut später habe ich einen Entschluss gefasst.

"Okay, das isses", verkünde ich Papa und meinen Brüdern: "Ab jetzt wird Gewicht reduziert."

"Ach ja?", fragt Jo.

"Oh ja. Ich besorg mir ein Notizbuch mit dünnerem Papier und einen Bleistift aus Balsaholz."

Trotzdem, die Schnauferei ist es wert – vom Gipfel des Mount Slievemore hat man einen wunderschönen Blick über Achill Island, dessen monumentale landschaftliche Schönheit in wenigen schlichten Worten zusammenfassen lässt: Torf, Schafe, noch mehr Torf, noch mehr Schafe. Der Ausblick ist schaflastig genug, dass Michi zur fixen Überzeugung gelangt, wir hätten den geheimen Stützpunkt der NSSC entdeckt. Die NSSC ist ein paramilitärischer Verein, dessen Ziel es ist, den Schafen den Weg zur Weltherrschaft zu ebnen. Gründer und bisher einziges Mitglied ist mein kleiner Bruder, der zwar kein Schaf von Geburt, wohl aber von Geist und Gesinnung ist.

Besonders symphatisch ist, dass die Schafe von Achill Island farbcodiert sind. Nichts hebt die Laune mehr, als auf einer unspektakulären Landstraße (mitten im Torf. Hab ich den Torf erwähnt? Hier gibt es massig Torf.) dahinzuschlendern, um plötzlich von einer Herde hellblauer Schäfchen überholt zu werden, die in offensichtlicher Fehde mit der dunkelrot karierten Herde lebt. Wie die Jets und Sharks, nur, dass sie nicht singen, solange jemand zuhört. Mental image for you: Heidekrautbewachsene Hügel. Eisblauer Himmel, im Hintergrund die grüne irische See. Dazwischen bunte, singende, auf- und abhüpfende Schafe. Ich habe fast eine Woche gebraucht, um diese spezielle Wahnvorstellung wieder loszuwerden.

Von Torf und Wolle abgesehen – ich mag die Iren.

Okay, sie haben ein kleines Problem mit Vegetariern. Drückt sich unter anderem darin aus, dass sich in einem Chinarestaurant auf der Speisekarte neben allen Tofugerichten die handschriftliche Ergänzung "with meat!" fand. Und ja, es hat mich vielleicht die ersten beiden Urlaubswochen, drei Bücher und etliche Museumsbesuche gekostet, bis ich ungefähr entwirrt hab, wer wann wie gegen wen gekämpft hat. Jedes Mal, wenn sich irgendwo ein klarer Gewinner abgezeichnet hat, haben die Burschen neu ausgelost und sind in ganz neuen Fraktionen aufeinander losgegangen. Solange es nur Katholiken gegen Protestanten oder Unionisten gegen Nationalisten sind, ist die Sache ja noch recht überschaubar, aber sobald einmal katholisch-nationalistische Kräfte sich mit den protestantisch-nationalistischen vereinen, um zuerst gemeinsam gegen die protestantischen Unionisten ins Feld zu ziehen, dann aber uneins werden, wie man mit den katholischen Unionisten mit protestantischem Beigeschmack umzugehen hat, vor allem, wo doch Seans Großnichte Brigid (katho-protestantische Unionistin) neulich zu ihrem Onkel Finnegan (Uniokatholizistischer Protestant) gesagt hat...

Irgendwie ist mir die irische Geschichte zu hoch, ich habe sie daher für mich persönlich auf folgende simple Formel zusammenkondensiert: "Sie hauen sich seit 1170 und davor auch schon." Ende der Geschichtsstunde. Jetzt scheinen sie aber darüber hinweg zu sein, was mich nach wie vor mit dem gleichen ungläubigen Erstaunen füllt, das ich normalerweise für kleine Kätzchen reserviere. Ich meine, das Ende einer Terrorismusära, weil sich beide Parteien an einen Tisch setzen und miteinander reden – wen das nicht mit einem flauschig-warmen Gefühl erfüllt, der hat die letzten zehn Jahre irgendwo hinterm Mond oder in Texas verbracht.

Zurück zum Thema: Warum Silly die Iren mag.

Erstens: Wenn sie reden, klingen sie immer so, als würden sie am Satzende eine ganz grandiose Erkenntnis haben, von der sie so überrascht sind, dass sie die letzten beiden Silben in luftige Höhen steigen lassen. Außerdem gibt es einen Punkt, wo man einen wildfremden Menschen für possierlichen Adjektivgebrauch herzen möchte. Dieser Punkt ist bei mir dann erreicht, wenn ein Vater seine kleine Tochter warnt: "Daaahling, don't you trip over those luvley stones."

Zweitens: Tee. In jedem Hotelzimmer gibt es Tassen, Teebeutel, Wasserkocher. Okay, es sind Teebeutel und jeder, der mich länger als zwei Minuten kennt, weiß, dass ich Teebeutel für eine Abnomination vor dem Angesicht des großen Gottes Sencha halte. Aber abnominaler Tee ist immer noch wesentlich besser als abwesender Tee.

Das klingt vielleicht für geistig gesunde Menschen unspektakulär, ist es aber definitiv nicht. Ich bin schon in diversen Städten Europas um drei Uhr morgens vor meinem Laptop gesessen und hab darüber fantasiert, wie ich eine ceylonesische Teeplantage stürme und dort rambomäßig ein ganzes Regiment blasierter englischer Besatzer erledige, bewaffnet nur mit einem verdammt gut angespitzten Balsaholzbleistift. Die befreiten Arbeiter drücken mir daraufhin ihre Dankbarkeit aus, indem sie mir eine frisch aufgebrühte Tasse ihrer Frühernte reichen, nach Möglichkeit im vergoldeten Schädel eines Feindes und mit viel Milch.

Dass diese Fantasie ein bisschen anachronistisch ist und aus irgendeinem Grund alle darin vorkommenden Briten Schnurrbärte tragen, ist mir in meinem ent-teeisierten Zustand völlig egal. Und dabei mag ich die Engländer eigentlich auch, wenn sie nicht grad irgendwelche Imperien aufbauen.

Damit wären wir dann wieder bei den Iren, die ihrerseits nicht die größten Fans der Engländer sind – angeblich wird man heute noch in manchen Pubs mit 'Heil Hitler' begrüßt, aus der Überlegung heraus, dass jemand, der mit England Krieg geführt hat, ein so schlechter Kerl nicht sein kann.

Drittens: Das Volk hat eine ganz pervers großartige Begeisterung für alles, was mit Schreiberlingen zu tun hat. Das fängt damit an, dass der Sage nach ein keltischer Barde mächtig genug war, einen grantelnden König mit einem Spottvers vom Thron zu kicken, er geht mit einem nationalen Oscar-Wilde-Fetisch weiter und kulminiert schließlich im unsäglich wundervollen Phänomen der Dubliner Buchhandlungen.

"Bruder", sage ich gedehnt zu Michi.
"Ja?"
"Das da ist ein verdammt großes Regal, ja?"
"Ja."
"Und es enthält ausschließlich Bücher über Drehbücher, ja?"
"Äh – ja."
"Und da ist ein Buch namens Making money with screenplays im Sonderangebot und ein Interviewbuch mit Autoren der klassischen Hollywoodperiode um 1930 und ein Buch mit..."
"JA! Worauf willst du hinaus?"
"Wenn ich in einer Stunde noch immer hier stehe, würdest du mich bitte zu meinem eigenen Schutz bewusstlos schlagen?"
"Mach ich gerne. Oder willst du lieber Tee?"
"TEE?"
"In der Belletristikabteilung gibt's ein Buchhandlungs-Café."
"Beutel?"
"Lose."

Darauf folgt eine kurze Stille, bis meinem Bruder die verblüfften Blicke der Umstehenden zu peinlich werden und er dringlich flüstert: "Sarah, die Leute schauen schon. Hör bitte auf, den Boden zu küssen."

Ich mag die Iren.
 

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