Es


von Sarah Wassermair

Wenn eines Morgens meine Schicksalsfee bei mir vorstellig wird, kokett mit den Flügelchen wackelt und sagt: "Sarah, du darfst es dir aussuchen: Willst du, dass dieser kommende, strahlende Tag für dich eine kleine Shoppingtour durch die Kleidungsgeschäfte dieser Stadt beinhaltet, oder aber würdest du dir lieber eine Hand brechen?", dann bleibt mir nur zu antworten: "Die Linke, bitte."

Als ich im Familienkreis die Überlegung geäußert habe, ich könnte das Modeproblem doch einfach nach dem Vorbild der Faultiere erledigen (so lange im Regen stehen bleiben, bis ich über und über mit Algen bewachsen bin), hat meine Mutter ein Veto eingelegt. Sie war auch vehement gegen meinen Alternativvorschlag, der mir eigentlich recht gemäßigt vorkam: Diogenesstil auf Holzfaserbasis, sprich, Fass mit Hosenträger. Mutter findet das nicht lustig und zerrt mich etwa zweimal jährlich zum Kleidungskauf, was meiner persönlichen Vorstellung von Fegefeuer mit verschärften Strafauflagen ziemlich nahe kommt.

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich mit dieser Kolumne natürlich keiner einzigen Kleidungsverkäuferin zu nahe treten will. Sollten Sie oder eine Ihnen nahe stehende Person zufällig eine sein, dann sind Sie natürlich ausgenommen. Ich bin überzeugt davon, dass es da draußen ganze Heerscharen von hochgradig liebreizenden und zurückhaltenden Kleidungsverkäuferinnen gibt, denen ich hier an dieser Stelle meine Hochachtung aussprechen will.

Ich persönlich hege ja schon seit vielen Jahren die Theorie, dass Kleidungsverkäuferinnen nicht geboren werden, sondern geschaffen. Ich stelle mir das ungefähr so wie im "Herrn der Ringe" vor. Wenn man ein paar Elben nimmt, sie aufs Schrecklichste foltert, sie mit der Essenz der Dunkelheit infiltriert und dann ein paar Generationen lang degenerieren lässt, bekommt man Orks. Wenn man dieselbe Bösisierungsnummer mit Buchhändlerinnen abzieht, bekommt man Kleidungsverkäuferrinnen. In Sarumans Mienen gibt es wahrscheinlich mehrere Unterabteilungen. Im einen Schacht kriechen die Uruks aus ihren Schleimkuhlen und brüllen martialisch, im anderen winden sich anorektische Damen unter bedrohlich aufragenden Bündeln von Abverkaufsträgertops hervor und saugen gierig die rauchschwangere Luft durch bebende Nüstern. Sofort kommen in Fetzen gekleidete Schergen herbeigeeilt und reichen ihnen ihren über offener Lava geschmiedeten und mit dem Blut von Hobbits gehärteten Modeschmuck in den Farben der Saison. Daraufhin noch eine aufmunternde Rede vom Chef persönlich ("Alle vernichten, Rache ist süß, die Welt wird uns gehören, wir ertränken sie in ihrem eigenen Blut... blablabla.") und man zieht aus, um die Welt zu unterwerfen oder zumindest nachhaltig zu traumatisieren.

Sie ziehen dann aus, um in düsteren Kavernen zu nisten und dort ihre klebrigen Netze zwischen Pulloverstapeln und Kleiderständer zu spinnen, um dort zu lauern bis...

"Du übertreibst maßlos", sagt Mama.
"Tu ich nicht. Die lauern auf uns", sage ich. Es und Über-Ich nicken zustimmend.
"Jetzt stell dich nicht so an. Du brauchst einen neuen Pullover."

Damit schiebt sie mich durch die Tür ins Zwielichtreich der Textilwaren. Sofort kommt uns eine sehr schlanke Verkäuferin entgegengestöckelt, lächelt freundlich, fragt: "Kann ich Ihnen helfen?" und misst mich mit einem Blick, der sagt: "Na ja, vielleicht finden wir was in der Über-Über-Übergrößenabteilung für dich."

(Hinter den Kulissen hektisches Geflüster zwischen Über-Ich und Es: "Nein, du darfst sie nicht mit der Keule hauen." - "Willaberwillaberwillaber!" - "Versteh ich, aber es ist keine gültige gesellschaftliche Option.")

"Danke, ich schaue nur", sage ich und versuche, an kleine Kätzchen und stille Waldlichtungen zu denken.

Wenn ich in eine Buchhandlung komme und sage: "Danke, ich schaue nur", verstehen die meisten BuchhändlerInnen dann: "Danke, ich schaue nur." Für eine Kleidungsverkäuferin aber scheint das die Aufforderung zu sein: "Bitte, bringen Sie mir so viele unsägliche Kleidungsstücke wie irgend möglich, bis meine höflichen 'Danke, nein' immer verzweifelter werden. Lassen Sie JA nicht zu, dass ich mir einfach einen Stapel schwarzer und möglichst neutraler Rollkragenpullis schnappe und dann halbwegs glücklich meiner Wege gehe. Sollte ich mich nach dem fünften Mal, wo ich vorsichtig darauf hinweisen muss, dass dieses und jenes Kleidungsstück zu einer ganz anderen Kategorie von weiblicher Person passt, noch nicht vollständig gedemütigt fühlen, dann haben Sie versagt. Bitte, bitte, lassen Sie mich ja nicht einfach nur in Ruhe schauen."

Außerdem können die Weibchen mit Sarkasmus nichts anfangen. Sie kommen strahlend mit einem Fetzen Stoff angedackelt, den scheinbar ein kurzsichtiges und überaus sadistisches Schnabeltier im Drogenrausch entworfen hat, und dann muss man ihnen ganz sanft beibringen, dass man das nicht anprobieren will:

Ich: "Ich fürcht, darin würd ich ausschauen wie ein Riesenkürbis mit Rüschen und schlechter Laune."
Verkäuferin: "Nicht wahr? Die Rüschen sind besonders hübsch."
Ich: "Und es ist nicht mal Oktober."
Verkäuferin: "Wollen Sie es gleich probieren?"
Ich: "Ich und das Ding sind nicht füreinander geschaffen. Ganz schlechtes Karma."
Verkäuferin: "Da hinten sind die Kabinen."
Ich: "Gibt's das nicht wenigstens in Schwarz?"
Verkäuferin: "Schwarz ist so dunkel."
Ich: "Das ist irgendwie der Sinn dahinter."
Verkäuferin: "Dazu gibt es noch eine Weste."
Ich: "Testtesttest. Grüne Geranien. Steinweich. Es ist völlig egal, was ich zu Ihnen sage. Roboterhühner. Schwabbeldabbel."
Verkäuferin: "Ich häng es Ihnen in die Kabine."

Und weg ist sie.

Wenn man es schafft, die Verkäuferin irgendwie zwischen den Regalreihen abzuhängen, bewusstlos zu schlagen oder in einer Umkleidekabine einzusperren, dann kann man sich selbst auf die Suche nach Kleidungsstücken machen und sich über das reichhaltige Angebot von Konfektionsgrößen freuen.

"Leute", sage ich und halte ein T-Shirt hoch, "könnte es sein, dass da eine ganze Branche versucht, uns klarzumachen, dass wir uns sehr nah an der Grenze zur Monstrosität bewegen?"
Über-Ich beäugt das T-Shirt misstrauisch. "Für wen soll das sein? Fünfjährige?"
Ich: "Kobolde? Meerschweinchen?"
Über-Ich: "Dünne Meerschweinchen?"
Es: "Keule?"

Meine wirkliche Lieblingssituation war aber kürzlich, als klimatische Veränderungen den Ankauf eines Wintermantels erforderlich erscheinen ließen. Ich stand dann vor dem Spiegel und wagte zu kommentieren, dass der betreffende Mantel als Einzelerscheinung sicher ganz reizend sei, ich darin aber aussehen würde wie ein Belugawal auf Landgang.

Daraufhin tritt die Verkäuferin hinter mich, streicht mir mütterlich über die Schultern und sagt: "Sie haben kein Problem mit dem Mantel. Sie haben ein Problem mit sich selbst. Positive Gefühle. Pooositive Gefühle. Poooooositive Gefühle."

Über-Ich: "Es, ich habs mir anders überlegt. Hol die Keule raus."

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