Wiederbelebung


von Sarah Wassermair

Es gibt Situationen, die könnte man einem zufälligen Beobachter nur sehr schwer erklären. Beispielsweise:

Man nehme vier Filmstudenten, drei Schauspieler, einen Fahrer und einen Kurzfilm als Semesterarbeit. Die ganze Sache wird schon weniger abstrus, wenn man weiß, dass im Auto Kamerastudent Felix mit dem Bolexstativ und der Zentrifugalkraft kämpft. (Später werde ich ein großartiges Foto von ihm machen, auf dem er leidend dreinschaut wie ein Hamster in der Waschmaschine.) Der, der da dauernd euphorische Jauchzer von sich gibt, das ist der Herr Regiestudent Umut. Der Bursche hat den Wiener Dialekt im Gangsta-Style perfektioniert und verwendet in einer Minute mehr Kraftausdrücke als ich in einem ganzen Monat. Die kann ich hier aber nicht wiedergeben, weil doch die vage Möglichkeit besteht, dass meine Mutter diese Kolumne eines Tages liest. Mamas Wortschatz ist jetzt schon schlimm genug. Der dritte, der im Auto leidet, ist Kamerassistent Christoph, den wir aber Moritz nennen, und der eigentlich an der Optik die Schärfe mitziehen sollte, aber vollauf damit beschäftigt ist, sich selbst und den Kameramann festzuhalten.

Das um sie kreisende Auto macht die Schauspieler ein bisschen nervös. Von wegen der Fahrer brauche nur einmal eine zu enge Kurve zu machen und sie würden am Kühler picken und solche Kleinigkeiten. Die Messer dagegen beunruhigen nur den männlichen Darsteller, aber der ist gefesselt und in Unterhosen, also ist seine Meinung wurscht.
Da der Rest des Teams beschäftigt ist, kommt es mir zu, die Damen ob der erschwerten Arbeitsbedingungen zu trösten. Schauspieler soll man hätscheln und so.
Ich: "Soll ich euren Verwandten was ausrichten?"
Ayfer scheint kurz zu überlegen, ob sie ihr Messer nach mir werfen soll. Zeynep bittet nur darum, ihren Eltern nicht zu sagen, wobei genau sie gestorben ist
Sie hat die letzten zehn Minuten nämlich damit verbracht, ihrem Herrn Kollegen die Unterhose im kameratechnisch richtigen Winkel auszuziehen. Das ist nicht ganz so unanständig, wie es klingt, weil er darunter eine zweite trägt. Die hat er, gegen allen Realismus und den Regisseur, erbittert verteidigt.

Es ist im Übrigen definitiv das letzte Mal, dass Umut einen Drehort ausgesucht hat. Die in der Umgebung herumliegenden Hundeschädel wären ja nicht besonders schlimm. Ich habe auch absolut kein Problem mit verlassenen Geländen, halben Autowracks und ausgebrannten Bahnwagons. Außerdem ist es eine allgemein bekannte Tatsache, dass ich eine große Freundin heruntergekommener Baracken bin. Allerdings wäre es ein bisschen beruhigender, wenn diese Baracken nicht den Eindruck machen würden, teilzeitbewohnt zu sein. Eine Hausfriedensbruchklage von Obdachlosen wäre … seltsam. Schließlich, mit besonderem Unterhaltungswert, ist da noch der Parkplatz weiter hinten, den an diesem einen Nachmittag drei verschiedene Autos mit wechselnden mittelalten Männern am Steuer und derselben Dame am Beifahrersitz anfahren. Sie nuckelt immer am selben rosa Schlecker, hat blonde Zöpfchen und ziemlich viele Falten. Wir nennen sie Lolli-ta.

Ich bin in dieser Woche als Produktionsassi dabei, sprich, Koffer schleppen und Kunstblut kochen. Sollte momentan die Polizei aus irgendeinem Grund meine Küche stürmen, werden die annehmen müssen, ich hätte da einen sehr obskuren Ritualmord abgezogen. Weil nämlich auf jeder verfügbaren Fläche Gläser mit rotem Zeug in allen Farb- und Konsistenzstufen stehen. Fatal gescheitert ist zum Beispiel der Versuch, die Viskosität mit Hilfe von Zucker besser hinzukriegen. Das Zeug hat zuerst wie wild geblubbert, ist dann karamellisiert und hat sich anschließend strikt geweigert, den Topf zu verlassen.

Zusätzlich kommt es auch mir zu, während die anderen mit künstlerisch wertvollen Dingen beschäftigt sind, im Schrott herumzuwühlen, auf das der Regisseur sich an authentischen Requisiten und schön eingerichteten Hintergründen erfreue:
"Das Autowrack dort hinten um zwanzig Zentimeter rechts, ginge das?"
"Kein Problem, wiegt eh nur fünfhundert Kilo."
"Bestens!"
"Das vorhin war Sarkasmus."
"Oh."
In Anbetracht größerer Mengen rostiger Dinge und rostiger Dinge sehe ich es angebracht, ein kurzes Rückversicherungsgespräch mit der Heimat zu führen.
Ich: "Sei mir gegrüßt, gnädigste aller Mütter, deine Tochter meldet sich live vom Set."
Mutter: "Schreit da wer im Hintergrund?"
Ich: "Nur die Hamster. Du, ich hätte eine Frage…"
Mutter: "Hm?"
Ich: "Gilt meine Tetanusimpfung noch?"
Mutter: "Noch ein paar Jahre, aber…was war das?"
Ich: "Nichts, was dein zartes Gemüt zu bekümmern braucht. Sei mir gegrüßt."
Das wirklich Absurde ist ja, dass ich sogar für Reisen innerhalb Wiens meine Impfungen checke und sich Mama trotzdem immer noch dauernd Sorgen macht, was nicht alles passieren könnte.

Bis dahin hat ja alles noch seinen Unterhaltungswert. Was Umut aber die Lizenz zum Drehortchecken kosten wird, das sind zwei Dinge. Erstens der aufgebrochene Tresor, den Felix (nachdem er sich von der Kamerafahrt erholt hat) im Gebüsch entdeckt. Darin finden sich Verträge, Schließfachschlüssel, eine Perlenkette und ein bisschen wahrscheinlich falscher Silberschmuck. Dem Fund folgt eine kurze, aber heftige Diskussion im Team, wir einigen uns darauf – das heißt, ich einige mich und die anderen fügen sich – dass wir nach Drehschluss die Polizei verständigen und zwei von uns dableiben, während der Rest mit dem Equipment abhaut. Drehgenehmigungen sind für Weicheier.

Der zweite Grund, warum Umut auf immer und ewig ein Drehortaussuchverbot hat? Fünf Tage nach unseren Dreharbeiten wird auf dem an unseren Drehort anschließenden Gelände ein ermordeter Obdachloser gefunden. Ich meine, authentisch bedrohliche Umgebung schön und gut, aber alles hat seine Grenzen.  

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