Wiederbelebung


von Sarah Wassermair

Es gibt in Österreich dermaßen viele Leute, die etwas nicht wahrhaben wollen, dass es dabei zu Interessenskonflikten kommt. Die, die nicht wahrhaben wollen, dass die Monarchie ausgemonarchiet hat, sind zum Beispiel auf die allergisch, die es nicht wahrhaben wollen, dass es mit diesem schicken großdeutschen Reich doch nichts geworden ist. Und die, die nicht wahrhaben wollen, dass man in Führungspositionen zumindest den IQ einer durchschnittlich intelligenten Aubergine haben sollte, sind sich selten mit denen einig, die nicht wahrhaben wollen, dass die unsere Bildungsministerin ist. Dinge nicht wahrhaben zu wollen, ist quasi eines der Lieblingshobbys der Österreicher.

Meine Mutter aber hebt die Realitätsverweigerung auf eine ganz neue Stufe, nämlich auf die fiktionale. Für Mama lebt nämlich Daniel Dareus noch. Der ist die Hauptfigur in "Wie im Himmel" und stirbt am Ende. Er stirbt ziemlich eindeutig, so tot wie man halt ist, wenn man einen Herzinfarkt hat und sich dann noch mächtig die Birne an einem Heizkörper verbeult. Der Film selber ist nett, schwedischer Schmachtschnudler auf hohem Niveau und höchst stilvollem Kitschende auf einer Salzburger Herrentoilette. Muss einem ja auch mal einfallen, einfach in Salzburg auf dem Klo sterben. Nur ist er für Mama nicht gestorben. Mütterchen hat nämlich ein sehr weiches Herz und will, dass es allen gut geht. Neulich hätte sie mich nächtens wo abholen sollen und ist über eine Stunde zu spät gekommen. Da war nämlich ein Igel über die Straße geflitzt, quasi in selbstmörderischer Absicht, und Mutter fürchtete, sie könnte ihn überfahren haben. Also hat sie mitten in einem stockdunklen Wald gewendet und die gesamte Umgebung abgesucht, um auszuschließen, dass das Tier irgendwo schwer verletzt liegt und ohne ihren Beistand sein stacheliges Leben aushauchen muss. Was ich auf die Frau gewartet habe, weil sie irgendwas oder irgendwen retten musste… Nur, wenn einer im Film stirbt, dann kann sie schwer was dagegen tun und reagiert mit Verleugnung.
Da sitzen wir also dann abendessenderweise zusammen und versuchen zu ihr durchzudringen.
Ich: "Mutter, das Knäblein hatte einen Herzinfarkt. So richtig mit Hand-an-die-Brust-krallen, Schweiß auf der Stirn und Röchelröchel. Der ist tot. Wenn die Leute zu atmen aufhören, deutet das extrem darauf hin, dass es sie geschnalzt hat."
Mama: "Der hat nicht zu atmen aufgehört!"
Tante Gerti: "Doch. Ich hab hingeschaut. Schnauft nicht mehr."
Mama: "Eine gute Hautfarbe hatte er aber noch."
Das stimmt allerdings. Mit so rosigem Teint möchte ich auch mal abtreten. Dann streiten Mama und Papa ein bisschen, mit welcher Hautfarbe man einen Herzinfarkt haben darf. Aber sehr lieb streiten sie. Man hat eigentlich nicht gelebt, bevor man die beiden nicht mal beobachtet hat, wie sie Emergency Room anschauen und wie ein Fußballspiel kommentieren: "Fünfhundert Gramm! Der ist tot!" – "Ha, weit an der Vene vorbei!" – "Pfuscher!" – "Der hält den Defibrillator falsch herum!" – "Wetten, jetzt spritzt er gleich Adrenalin... und... und... jaaaah!"
Zurück zu Daniel Dareus und seinem Herzer.
Mama: "Sie könnten ihn noch gefunden haben. Und wiederbelebt. Das wär ein schönes Ende."
Jo: "Welchen Sinn gäbe es? Das Ende war doch von Anfang an festgelegt, für was sonst das dauernde Gesabbel von den Engeln?"
Cousinchen Lena: "Und vom Himmel?"
Papa: "Und von seinem schwachen Herz?"
Mama: "Aber das wäre ein trauriges Ende."
Ich: "Der Kerl hat doch die Musik gefunden, die er immer gesucht hat. Das ist ein schönes Ende."
Mama: "Aber für seine Freundin ist es traurig."
Jo: "Die hat er wahrscheinlich geschwängert."
Mama schaut indigniert, als ob prämortaler Beischlaf kein Milderungsgrund für tragische Filmenden wäre.
Mama: "Für mich lebt er noch."
Michi: "Mama, er ist am Schluss durch ein Getreidefeld gegangen wie der Gladiator. Das macht man nicht, wenn man nicht tot ist."
Es folgt kurzes Schweigen, während alle diesen Satz zerlegen, um festzustellen, was daran nicht stimmt.
Ich: "Außer Bauern."
Michi: "Okay. Außer Bauern."
Mama: "Wer sagt euch, dass er es war? Es könnte auch sein Vater gewesen sein."
Cousinchen Lena: "Aber sein Vater kommt im Film gar nicht vor."
Mama: "Eben! Er hat ihn vermisst!"
Kollektives Seufzen, das leise Patschen von Händen, die an Stirne geschlagen werden.
Papa: "Stimmen wir ab. Wer ist dafür, dass Daniel das Zeitliche gesegnet hat?"
Daniel wird mit fünf Stimmen zu einer Gegenstimme für tot erklärt und Mutter findet uns herzlos. Die Katzen enthalten sich.
 

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