von Hans-Jürgen Hilbig

Wenn ein Apfel nicht weit vom Stamm fällt, wohin fällt dann der zweite? Fällt der zweite in die denkbare nächste Nähe oder fällt er in eine Richtung, die wir nicht mehr einsehen können? Wohin schauen wir? Zum Apfel? Zum Stamm? Und was, wenn es den Stamm nicht mehr gibt, aber den Apfel? Oder es gibt den Stamm noch und der Apfel wurde aufgehoben, in eine Zeitung eingewickelt und davongetragen.

Wir sitzen vor diesen Fragen ... Aber sitzen wir wirklich? Und auf was sitzen wir? Wann haben wir (angenommen wir sitzen auf einem Stuhl) diesen Stuhl dort hingestellt? Zu welcher Zeit und war es vielleicht ein Irrtum, wollten wir den Stuhl ganz woanders hinstellen, vielleicht zum Sperrmüll, dort, wo die Wasserwaagen schon liegen und wo kommen jetzt diese Wasserwaagen her? Ordnen wir uns. Kämmen wir uns die Haare. Schauen wir uns alles ganz genau an.

Dort ist eine Katze. Eine dunkelbraune Katze. Sie antwortet nicht mehr. Frage: Hat sie je geantwortet? Nehmen wir an, sie hätte nie geantwortet, was ist daran so besonderes? Nichts. Aber nehmen wir an, sie hätte aus irgendeinem Grunde geantwortet und zwar immer und ständig und es ist uns bisweilen durchaus auf die Nerven gegangen, aber plötzlich tut sie es nicht mehr. Was ist geschehen? Nun, sie könnte verschwunden sein, irgendwohin, wo es besser ist oder sie glaubt, es wäre dort besser. Wie oft gehen wir strahlenden Schrittes über einen Weg und glauben, dort wo wir noch nicht sind, ist alles vorhanden, existiert alles in Hülle und Fülle.

Die Katze ist also verschwunden. Sie hört nicht mehr, sie kann nicht mehr hören, sie hat vielleicht noch nie gehört. Sie ist weg, sie ist uns entwischt, sie kommt nicht mehr wieder. Und wenn sie wiederkommt, woher wollen wir wissen, dass es noch die selbe ist? Vielleicht erinnert uns die Katze, die eines Morgens vor uns steht, bloß an jene, die gegangen ist. Aber, wenn sie es doch ist, wenn sie zurückkehrt, ihren Fehler bereut hat? Reumütig eilt die Katze zurück. Sie blickt uns an. Sie will uns damit sagen: "Hab's nicht so gemeint." Was tun wir dann? Wie verhalten wir uns? Wo sind die Handbücher, in denen alles geschrieben steht?

Was aber, wenn die Katze in einem Karton liegt und schläft? Seit Tagen schläft sie dort schon. Woher wissen wir denn so genau, dass es eine Katze ist? Es könnte auch ein anderes Tier sein, es gibt so viele. Aber sagen wir, du hast gesehen, wie sie in den Karton gegangen ist und dann nach drei Wochen gehst du zufällig an dem Karton vorbei und dir scheint, du hörst sie. Aber vielleicht ist es sie gar nicht? Vielleicht war sie dort in den ersten Stunden, aber jetzt sitzen vielleicht Fliegen herinnen und flirten miteinander.

Aber wollen wir enden. Wir sind die ganze Zeit um einen Kreis gelaufen, ohne Ergebnis. Wir haben uns Fragen gestellt und keine Antworten gefunden. Vielleicht gibt es keine Antworten. Oder es gibt zu viele Fragen. Sagen wir es so: Vielleicht lebt Schrödingers Katze irgendwo. Man hat versucht, ihr das Fell über die Haut zu ziehen, aber sie war schneller. Oder sie hat nie gelebt. Auch so etwas geschieht. Man glaubt, jemand lebt und plötzlich stellt man fest: Der hat ja nie gelebt!

Katzen sind keine Beuteltiere. Katzen suchen die Ferne auf, um in ihrer Nähe zu bleiben. Würden sie alles tun, sie würden gehen oder bleiben. Den Unterschied würden sie schon deswegen nicht bemerken, weil es gar keinen gibt.
 

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