sans l'emotion


von Hans-Jürgen Hilbig

Wir denken Hindernisse und Abgründe wären dasselbe, wir eilen mit der Geschwindigkeit von Schnecken durch unser Leben, wir lassen uns taufen, wir kaufen Äpfel nur vom Bauern, wir trinken schon morgens Sekt und reden über die schlecht, die Slibowitz trinkend über die Pfützen springen, als hätten sie vom Tag schon alles gesehen. Das ist aber auch geschmacklos, wie sie lallend über die Qualität des Pflaumenschnapses sinnen und ihnen kein anderes Wort einfällt wie "Hurra". Kein Wort, das in ein Lyrikalbum passt.

Aber sonst passt schon alles. Wir dringen ein, wir suchen die Sonnenblumenkerne, wir genießen den Frühling, der uns eigentlich schnuppe ist, wir fallen in den Muttertag ein: "Da Mutter, ein neuer Toastapparat!". Die Kinder wetzen die Messer, sie greifen nach dem Honigglas: "Hm, lecker!" Aber Mutter steht vor ihnen ohne Gesicht, ohne den Bekanntheitsgrad, der es versäumt, beliebig zu werden. "Ich glaube, ihr spinnt!", ruft da die Mutter und wirft den Toastapparat aus dem Fenster, da liegen die Dinge aus den letzten Jahren: Wurstscheibenschneider, Teppichsauger, Mixgerät und ein Handbuch, wie man richtig spült.

Gesetzt den Fall, es gäbe die Wirklichkeit, wohin eilen wir dann morgens früh los? Was ist es, was uns jeden Morgen immer und immer wieder hinaustreibt in das Geflüster der Tauben und das Entsetzen der Eintagsfliegen, die es gar nicht so eilig haben, wie es ihnen eigentlich zustände. Wo bleibt die Leichtigkeit, die Angst vor den eigenen Ideen? Wo treibt man uns hin und wohin treibt diese Kolumne? Schade, dass man weiß, wie es weitergehen kann, dass man nicht einfach stehen bleibt und mal guckt, ob es auch anders gehen könnte. Pah, es geht nicht anders, also weiter!

Wir schauen uns um, tragen uns ein in die Welt, die – wie oft muss man das noch schreiben? – nun endlich vor die Hunde geht. Alles ist erlaubt, aber wehe du lässt dich erwischen! Warum ist alles nur so schwer und tut doch so, als wäre es ganz leicht? Eine kleine Verlogenheit, die ein bisschen herumalbert.

Wir trotzen den Orten, die wir nicht mehr kennen, wir bekleiden den Morgen, wir haben vom Tag noch nichts gesehen, da hoffen wir schon, dass die Woche bald rum ist. Ach, eben kommt die Müllabfuhr, gleich verschwindet wieder etwas, etwas von dem wir später sagen werden: "Gut, dass es weg ist!" Mit den Stunden ist es ähnlich. Wir zittern, wir glauben der Tag geht nie zu Ende und vernichten ihn damit. Aber wir vernichten ihn so, dass nicht einmal die Männer von der Müllabfuhr etwas damit anfangen können.

Ach, diese Kolumnenschreiber, ein seltsames Volk ist das! Sie stehen morgens auf und reden von Dingen, die sie nicht verstehen, reden von Orten, von Zuständen und reden und reden und verstehen einfach nichts. Dabei ist alles ganz einfach: es duftet nach Heu und nach Gesichtern, nach Haut und nach einem Fremdwort, aber das kennen wir nicht und deshalb lassen wir es lieber bleiben. Am Ende sagt man noch, wir wären dumm.

Alles ist im Wandel begriffen, sagt man, dabei stimmt das gar nicht, alles bleibt stehen, bleibt liegen, alles wird ein bisschen hässlicher und man dachte doch immer, hässlicher ginge es gar nicht mehr. Aber es ist Frühling, die Tauben schlagen aus, Nüsse werden von den Eichhörnchen vergraben, ein paar Fliegen suchen eine Klatsche. Das ist der Kampf gegen das Jenseits, gegen den Anmarsch der Wirrnis. Gegen das eigene Schicksal kann man immer etwas tun und wenn es nur das ist, dass man stehen bleibt und sagt: "Das ist der Fortschritt."
 

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Das Bild am Anfang dieser Kolumne verdankt O livro der ebenso charmanten wie talentierten jungen Künstlerin, die allen Besuchern unseres Forums auch als "kleinervogel" bekannt ist. Es trägt den Titel "sans l'emotion", was übersetzt so viel wie "Ohne Emotion" heißt. Wer mehr über die Künstlerin erfahren und weitere Bilder von ihr sehen möchte (und das in viel besserer Auflösung), der kann das auf ihrer eigenen Webseite: www.out-of-mind.de.vu