von Hans-Jürgen Hilbig
Was ist eine Kolumne? Diese Frage stellte ich mir einigen Stunden auf den
Schreibtisch, ganz unschuldig stand diese Frage da, bis ich das Fenster öffnete
und sie hinausflog.
Jammerschade, das.
Nun sollte ich mir eine andere Frage stellen.
Quasi eine völliglosgelöste.
Also stellte ich mir die Frage, was würde ich tun, wenn ich Elfriede Jelinek
begegnen würde, sagen wir auf der Strasse? Sie hätte gerade einen Besen in der
Hand und würde, wie es Samstags so üblich ist, die Strasse kehren. Was also
würde ich tun? Würde ich ihr Honig um den nichtvorhandenen Bart schmieren? Würde
ich sie loben: "So gut wie sie hat noch keine die Strasse gekehrt!"
Nein, ich würde ihr folgendes erzählen:
Wolf: Lasst mich ein, ich bin der Wolf. Ich sag es ehrlich, fressen will ich
euch und das was ich nicht fresse, das verkaufe ich auf dem Markt oder ich grab
es ein, für schlechte Zeiten.
Erstes Geißlein: Grab's ein für schlechte Zeiten, auf dem Markt bezahlen sie
dich schlecht!
Zweites Geißlein: Du bist nicht unser treues Mütterlein, du bist es nicht, du
bist es nicht!
Wolf: Oh, wie dumpf, wie knall ist mir? Ich trinke Schnaps und Dosenbier. Mir
ist vergrault der Morgenschlag, was habe ich bloß von diesem Tag? Wer kann so
dumm vonnöten sein, als ich, ja, klinge ich denn wie ein Schwein? Hab ich
gesagt, dass ich die Mutter bin? Ich verändre nicht mal meine Stimm! Oh, Trost
geboren, aber nicht für mich, das Morgenlaub fegt alles vom Tisch. Ich sag doch:
Ich bin der Wolf, bin vom Randgebiet, bin gespannt was drinnen geschieht.
Drittes Geißlein: Es ist der Wolf, es scheint ihm zu gefallen, ich spüre seinen
Satz und spüre seine Krallen. Wahrscheinlich lacht er sich draußen wüst ins Gras
und hier machen sich alle die Hosen nass. Ach könnt ich flüchten, noch heute
würd’s geschehen, ich würde von der Welt noch manche Orte sehen! Ich stände in
Ulm und Bäume wären da, ich sägte Staub und sagte meiner liebsten: Ja.
Viertes Geißlein: Welch hohler Gesang! Die Türe ist doch zu. Leute ich schlage
vor, wir lassen ihn nicht herein. Wenn wir ihn nicht hereinlassen, kann er uns
nicht fressen. Niemand, der gefressen wurde, kehrte jemals zurück. Aber wir
lassen ihn nicht rein, denn, wenn wir ihn nicht reinlassen, werden wir auch
nicht gefressen. Wir dürfen die Türe nicht öffnen, nur nicht öffnen, es ist ganz
einfach! Wir müssen uns bloß einig sein. Wenn wir uns einig sind, ist doch alles
klar. Wir leben weiter. Wir werden vielleicht nicht gescheiter, vielleicht wird
es uns langweilig, vielleicht morden wir uns gegenseitig. Vielleicht kündigt man
uns das Haus, vielleicht holt man uns ab. Aber wir machen die Türe nicht auf.
Fünftes Geißlein: Seid ihr stier, Nachtblind auch? Alles was dieser Kerl
braucht, sind Backpfeifen! Er hat eine Ladung Backpfeifen verdient. Ich hab es
ausgerechnet, schaut, seht her! Wenn wir ihn hier angreifen, hat er keine Chance
mehr. Dort taumelt er noch, glaubt sich im Schoß, aber da schon wird sein Leiden
groß. Er krümmt sich und weint, schreit um Vergebung, aber wir vergeben ihm
nicht. Öffnet die Türe, Hand in Hand leisten wir Widerstand! Die Augen zum
Trocknen sind längst schon leer, wir glauben an uns und er hat es schwer. Und
wenn jemand fällt, wir werden ihn rächen, öffnet die Türe!
Sechstes Geißlein: Bist du Yopp? Bist du Yopp? Dein Gesang weckt all die toten
Kaninchen auf, nach denen der Wolf stinkt. Sein müder Geruch lässt mich taumeln.
Es ist mir egal, ob ich von ihm gefressen werde, aber diesen Gestank überstehe
ich nicht.
Siebtes Geißlein: Ich verstecke mich in der Uhr!
Was würde Frau Jelinek wohl dazu sagen?
Kommentieren |
Kommentare lesen |
About Hilbi
Weitere Kolumnen von Sarah & Hilbi in unserem Archiv