Taktisches Kochen, die Zweite

Montag, 18:30 Uhr
Ich sitze auf meinem Lieblingsplatz, dem Kuhsessel, einem unförmigen, schwarzweiß gefleckten Möbel, und lese die neueste Ausgabe der "Gitarre & Bass". Der erste Arbeitstag der Woche schafft mich immer total. Was ist schöner, als an seinem Ende im Kuhsessel zu sitzen, die Lieblingszeitschrift zu lesen und die Füße hochzulegen? Mein Entschluss steht fest; ich tue heute nichts anderes mehr. Keinen Handschlag. Vielleicht, aber nur vielleicht esse ich nachher noch ein Butterbrot. Aber nur, wenn ich mich nicht zu schlapp fühle.

18:31 Uhr
"Hast Du auch Hunger?" Ich zucke von meiner Zeitschrift hoch. Irgend jemand hat was gesagt. Muss meine Frau gewesen sein, das zauberhafte Wesen auf dem Sofa, die mit dem Otto-Katalog. Ich blicke verwirrt, antworte "Doch, schon!" und begehe damit den ersten schweren Fehler. Doch davon merke ich nichts. Mein mattes, schlaffes Bewusstsein bringt die notwendige Feinfühligkeit für das Aufspüren solcher Fallen heute nicht mehr mit. Ich sinke zurück in die Welt der Gitarren und Bässe.
"Wollen wir was kochen?" Jetzt schrillen sie, die Alarmglocken, laut und deutlich. Zu spät, wie ich sofort vermute, aber das ignoriere ich. Noch, rede ich mir ein, ist es nicht zu spät. Wollen wir, die bei uns gebräuchliche Umschreibung für willst Du, erfüllt mich mit panischem Schrecken. Nein, zum Teufel, ich will nicht! Ich kann mich ja nicht einmal zu einem Butterbrot durchringen!
Ich blättere also ohne aufzusehen zum nächsten Artikel und brumme: "Och nö, heute nicht. Keine Lust. Müde." Stille. Vorwurfsvoll, oder nicht? Ich bin nicht sicher. Aber die Stille hält und allmählich gewinnt mich die Zeitung zurück.

18:33 Uhr
"Wie hieß das noch, was Du neulich gekocht hast? Das mit dem Hühnchen in Sahnesauce und dem Zucchini-Gemüse?" Mein Magen knurrt. Der dreckige Verräter schwärzt mich also an! Wie soll das Hühnchen in Sahnesauce schon heißen? Sahnehühnchen! Ich nehme mich zusammen und versuche, teilnahmslos zu klingen: "Sahnehühnchen hieß es."
"Aha." Stille, erneut. Aber nur kurz. "War lecker."
Mein Magen knurrt.

18:37 Uhr
"Lasagne hatten wir auch lange nicht mehr!" Knuuurrrrrr! Teufel noch mal, kann sie das nicht unterlassen? Butterbrot, denke ich krampfhaft, Butterbrot, Butterbrot! Vor meinem geistigen Auge sehe ich ein fahles, freudloses Butterbrot neben einem lustig brodelnden Lasagnenapf liegen. Ich kann ihn fast riechen, den Napf. Schon wieder knurrt mein Magen. Hier macht jeder, was er will! Mit einiger Anstrengung konzentriere ich mich auf meinen Artikel, beginne zu lesen: ...verleimter Ahorn-Hals gratiniert festen.... Was ist? Gratiniert? Ich sehe noch einmal hin: ...garantiert festen Halt in dem einteiligen Mahagoni-Body... Jetzt ist es soweit! Ich bekomme Nahrungsmittel-Visionen! Ich weiß, dass sie das absichtlich macht, nur beweisen kann ich es nicht. Jetzt blättert sie wieder in ihrem Otto-Katalog. Heimtückische Schlange!

18:40 Uhr.
Sie blättert. Sie kann auf zweierlei Arten blättern. Normalerweise blättert sie zügig und fast lautlos: Seite fassen, umblättern, knister, fertig. Aber jetzt blättert sie auf die andere Art: raschel, Seite fassen, knister, raschel, umblättern, knister, knister, raschel, fertig. Sie blättert auf die Ich-bin-unzufrieden-Art. Ich hasse das. Es dauert lange, bis es mir gelingt, das Umblättern akustisch in den Hintergrund zu verdrängen. Aber ich finde zurück in den Artikel. Alles eine Frage der Selbstdisziplin.
Wäre ja gelacht!

18:41 Uhr
"Und den Fisch in dieser Tomaten-Knoblauchsauce mit Basilikum könnten wir auch wieder mal machen!" Ich lese: ...im Clean-Betrieb Schellfisch der Sound bissig dar... und zucke erneut zusammen. Stellt sich. Es muss heißen: Stellt sich der Sound bissig dar. Verzweiflung kratzt an meiner Tür. Und mein Magen knurrt. Natürlich.

18:50 Uhr
Mein Artikel schwimmt vor meinen Augen. Keine Störungen mehr seit neun Minuten, aber ich traue dem Frieden nicht. Sie blättert noch immer. Ich riskiere einen schnellen Blick aus dem Augenwinkel. Sie sieht zufrieden aus, harmlos, konzentriert auf ihren Katalog. Die heckt doch was aus! Ich bin sicher, dass da irgendeine Teufelei heranreift. Noch einmal "Gitarre & Bass". Ich versuche, mich zu sammeln und meine Aufmerksamkeit auf den Testbericht der Gibson Les Paul Custom zurückzulenken.

18:51 Uhr
"Wollen wir uns ein Butterbrot machen?"
Jetzt reicht's! Ich lasse mich nicht provozieren!

19:30 Uhr
Bin aus der Küche zurück. Es gibt Lachs-Lasagne und grünen Salat.
 

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