Erfolgreich kochen - taktisch gesehen

Wenn man etwas wirklich will, ein Ziel erreichen möchte, nach dem es einen von ganzem Herzen drängt, wenn gewissermaßen das Seelenheil davon abhängt, dann ist die Auswahl der Zutaten von entschiedener Bedeutung! Das ist meine Theorie und ich behaupte, sie ist wahr.

Ich spreche natürlich vom Kochen. Wovon sonst? Und davon, dass ich in ein paar Wochen zum Satanic Stomp möchte, meinem Lieblings-Musikfestival, dass sich über ein ganzes Wochenende erstreckt und in Gütersloh stattfindet, weit weg von zuhause. Wo da der Zusammenhang ist? Ganz einfach: Wenn ich dorthin fahre, bin ich zwei Tage nicht zuhause. Zuhause aber sind meine Frau und unser gemeinsames Töchterlein. Na, klingelt's? Da steckt doch Konfliktpotential drin, oder nicht?

Um es ganz einfach auszudrücken: Meine Frau wird ausrasten, wenn ich ihr meinen Plan eröffne. Sie wird es auf ihre stille, tödliche Art tun. Sie wird so etwas sagen wie: "Ach... schön... ", oder: "Zum Stomp ... zwei Tage..." und dann wird sie schweigen und die Raumtemperatur wird schlagartig um ca. 7 Grad abnehmen. Nach zehn Minuten werde ich dann unruhig werden und beginnen, mit dem Rücken an den Wänden entlang zu schleichen, meine Frau aus den Augenwinkeln beobachtend und ich werde mich zu fragen beginnen, ob ich ihr noch trauen kann heute Nacht, wenn ich schlafe und nebenan in der Küchenschublade das große Ausbeinmesser liegt. So wird es sein.
Zumindest wird es so sein, wenn ich einfach hereinspaziere und sage: "Tag Schatz, ich fahre zum Stomp!" Aber so blöd, gottlob, bin ich ja nicht.

Nein, das Leben hat mich Taktik gelehrt und was in der Werbung gilt, gilt auch hier: Eine hübsche Verpackung macht den miesesten Inhalt akzeptabel! Und was würde sich als Verpackung für meine frohe Botschaft besser eignen als die Befriedigung eines uralten, archaischen Triebes: des Hungers?

Jetzt komme ich zurück auf meine eingangs geäußerte Theorie. Denn viele würden nun sagen, dass in diesem Fall die Auswahl der Speise als solche das Wichtigste auf dem Weg zum Ziel sei. Doch das ist Quatsch! Amateurdenken! Auf so eine Idee kann nur jemand kommen, der vom Leben noch nicht geschlagen wurde, jemand, dem die Schmach der Niederlage fremd ist. Nein, die Speise ist nicht Gegenstand der Wahl, denn diese Wahl wird nicht von dem einsamen Kämpfer getroffen – das Opfer trifft sie, unbewusst, und hier ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, seinen Feind zu kennen. Das wusste bereits Sun Tzu. Denn jede Frau trägt in ihrem Herzen die Erinnerung an eine ganz bestimmte Speise, ein Mahl, mit der sie Wärme, Mutterliebe, Geborgenheit, Familie und Liebe verbindet. Ein Essen, dessen bloßer Duft in ihr die Erinnerung an glückliche Tage aufblühen lässt. Den Namen dieser Speise gilt es zu kennen und nach meiner nicht ganz unbeträchtlichen Erfahrung lautet dieser in 98% aller Fälle und in der unnachahmlichen Sprache der Vorschul-Kindheit: "Nudeln mit Gehacktes-Soße"!

Gut, wir benutzen heute in der Regel die Bezeichnung "Spaghetti Bolognese", aber wir sind auch nicht mehr fünf Jahre alt, oder? Das Ding ist ganz einfach, dass es funktioniert! Wenn man es nicht versaut. Und an dieser Stelle tritt meine Theorie in Kraft.

Da stehe ich nun im Supermarkt und bemühe mich, keine Fehler zu machen. Das ist gar nicht so einfach. Schon beim Hackfleisch fängt es an.
"Ein Pfund Gehacktes halb und halb", rufe ich der Fleischereifachverkäuferin hinter der Kühltheke zu. Sie wirkt freundlich-desinteressiert, als sie sich ein weißes Plastikschäufelchen greift und sich über die Auslage beugt, doch als ich meiner Bestellung noch ein "Aber frisches!" anfüge, wirft sie mir so einen merkwürdigen Blick zu, so als würde ihr etwas dämmern, eine Ahnung dessen, was mir derweil durch den Kopf geht. Mir ist unbehaglich. Wahrscheinlich, vermute ich, kennt sie den Trick aus ihrem eigenen tragischen Alltag.

Egal, ich erhalte mein Hackfleisch und schlurfe gedankenverloren zum Weinregal. Spaghetti Bolognese funktionieren einfach nicht ohne einen Schuss Wein in der Soße, das ist ein Naturgesetz. Wie ich so darüber nachdenke, greift meine Hand instinktiv Richtung Vin de Pays, 1 Liter Pennerglück für einsachtundneunzig. Jetzt wär's beinahe passiert! Ich zucke zurück, als hätte ich in ein Hornissennest gegriffen und meine Augen weiten sich erschreckt angesichts der schmucklosen Literflasche. Gott der Gerechte! Das war knapp, dies hätte mein Untergang werden können. Ich sehe mich um, mein Blick fällt auf einen 98er Barolo, 7 Euro 20. Geritzt!

Vom Schrecken noch hellwach, ziehe ich weiter zum Gemüse. Ja, Gemüse! Nee, nix Dosentomaten! Das geht, wenn man sich an einem einsamen Abend mal schnell was zu futtern zurechtstümpern will, aber nicht, wenn wirklich etwas auf dem Spiel steht. Frische Tomaten müssen es sein, rot, sonnengereift und saftig... was ist das denn? Herkunftsland Holland? Das darf nicht wahr sein! Mein Seelenheil steht und fällt mit Tomaten und was bietet man mir hier an? Rot getünchte Wassersäcke aus Gouda-Land! Das erregt meinen Zorn und schürt – vor allem – meine Panik. Ich brauche Romana-Tomaten, klein, fest, länglich und aromatisch, nicht diesen schäbigen... Oh Gott, da sind sie! Gerettet!

Ich fühle mich bereits ein wenig mitgenommen, während ich die Tomaten einpacke. Noch so ein Schock wie die holländische Tomatenparodie und ich liege flach im Laden. Ich muss mich zusammenreißen! Auf geht's, als nächstes steht frischer Parmesan auf der Liste.

"Haben wir leider im Moment nicht da." Das Gesicht der Käsefrau ist freundlich, ehrliches Bedauern spiegelt sich darin. Aber ich hasse es. Ich hasse es für die Worte, die es sagt. "Geht auch Peccorino?" Nein. Peccorino geht nicht. Wenn Peccorino ginge, hätte ich "150 Gramm Parmesan ODER Peccorino, bitte" gesagt. Habe ich aber nicht. Ich sagte laut und deutlich "150 Gramm Parmesan am Stück, bitte". Von Peccorino war keine Rede. Ich merke, wie ich ungerecht werde in meiner Not, aber hinter der Käsefrau, unsichtbar für alle außer mir, blinkt ein riesiges Neonschild mit der Aufschrift "Adieu, Satanic Stomp!" Ich nehme mich mit aller Macht zusammen und sage laut: "Nein, vielen Dank", während ich "Schaff den Parmesan ran oder stirb, Schlampe!" denke. Sie sieht mich ein wenig verwirrt an und einen schrecklichen Moment bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich nicht vielleicht das Erste gedacht und das Zweite laut gesagt habe. Dann aber sagt sie freundlich "Dann tut es mir Leid", und ich atme auf.
Also schön, no risk, no fun! Ich werde das Schicksal herausfordern und die Nudeln mit Tüten-Parmesan servieren! Was soll's, ich kann die Kurve noch kriegen. Wenn der Rest stimmt, habe ich immer noch eine Chance. Um mich aufzubauen, begutachte ich meine bisherige Ausbeute. Was ist das? Tomaten – aber wo ist der Rest aus der Gemüseabteilung?

Wieder zurück zum Gemüse. Der Hollandtomatenschock hat dazu geführt, dass ich das Wichtigste beinahe vergaß: Eine Karotte – muss sein, klein gewürfelt – und frischen Oregano. Die Karrotte ist kein Problem, die greife ich mir im Vorbeigehen. Oregano – da hinten stehen die Kräutertöpfe. Schon von weitem lacht mich Basilikum an, Zitronenmelisse, Petersilie, Thymian ... mein soeben erst geborenes Lächeln gefriert. Noch drei Meter bis zum Kräutertropfregal, aber schon jetzt dämmert mir: Das wird nix! Ich erkenne Oregano, wenn ich ihn sehe. Aber im Moment sehe ich nichts. Wäre auch zu schön gewesen.
Rechts von mir füllt ein hagerer, pickeliger Teenager in einem zu großen Supermarkt-Kittel die Apfelauslage auf. Im Moment ist er bei Jona-Gold. Ich tippe ihm auf die Schulter und lasse die Höflichkeitsfloskeln von vorne herein weg: "He, habt Ihr noch Oregano am Lager?"
Er glotzt mich an: "Oregano?" War klar. Keine Ahnung, der Typ. So eine Weiß-nicht-ich-arbeite-hier-bloß-Erscheinung. Irgendwo hinter meinen Augen beginnt ein schleichender Schmerz zu klopfen.
"Ja, Oregano. Wilder Majoran. Habt Ihr? Oder nicht?" Ich deute auf das Kräutertopfregal.
So etwas wie Verstehen dämmert in den Augen meines Gegenübers. Nicht ganz, aber nahe dran. "Vielleicht getrocknet, bei den Gewürzen..."
Jetzt schleicht der Schmerz nicht mehr – er tanzt Polka. Ich höre Stimmen in meinem Kopf, eine wispert unablässig: "Töte ihn, töte ihn!" Während ein körperloser, dünner Chor "Mit einem Sack voll Jona-Gold / Erschlägst Du ihn, wenn er sich trollt" singt. Mit schwerer Zunge formuliere ich: "Wenn ich getrockneten möchte, frage ich Deinen Klon am Ostmann-Regal. Jetzt frage ich Dich: Habt Ihr noch – frischen – Oregano?"
"Ich kann ja mal nachsehen..."
"Tu es!"
Er geht. Ich bleibe mit einem Gefühl leichten Schwindels zurück. Der Chor in meinem Kopf hat den Text geändert, jetzt singt er: "Rückt er kein Oregano raus / Dann schlag ihm doch die Zähne aus." Aha, denke ich, so fühlt es sich an, wenn man verrückt wird.
Fast schreie ich auf, als mir jemand auf die Schulter tippt. Es ist der Pickelige, in seiner Hand ein kleiner Topf. "Eins war noch da", grinst er. Ich könnte ihn küssen! Gutaussehender Typ, eigentlich. Und so symphatisch.

Jetzt habe ich fast alles – noch ein bisschen Tomatenmark, Spaghetti von Barilla, einen Underberg für meine Nerven und ab geht's zur Kasse.

Auf dem Weg nach Hause gehe ich den Plan noch einmal durch: Kochen, servieren, warten, bis meine Frau schnurrig und in Wonne versunken ist. Dann raus mit der Nachricht: "Du, ich hatte vor, zum Stomp zu fahren." Und sie wird, zwischen zwei Gabeln Spaghetti, so was sagen wie "Ja ja, fahr nur!" oder vielleicht "Hm, ja, is' okay!" – und das war's. Am Ende wird alles gut gehen.

Ich schließe die Wohnungstür auf. Der Duft, der mir entgegen schlägt, reißt mir fast die Einkaufstüte aus der Hand. Diesen Duft kenne ich! Ich würde ihn wiedererkennen unter Millionen Düften, ich würde ihn bemerken durch die rußigen Schwaden einer brennenden Teerlache hindurch, mit verbundener Nase in einer Wanne voll 4711, ja, durch alle Dünste der Hölle: Sauerbraten!

Wie hypnotisiert wanke ich Richtung Küche. Mein Töchterlein kommt mir auf unsicheren Beinchen entgegen und strahlt: "Bapa!"
"Verschwinde", antworte ich abwesend. Da ist sie, meine herrliche Frau und rührt emsig in Töpfen und Pfannen. "Du, ich hab schon mal was gekocht – ich hatte so Lust auf Sauerbraten!" Ich höre kaum zu. Der Duft. Der Duft verwirrt meine Sinne. Sauerbraten!
"Sag mal", dringt es durch den wunderbaren Duft, "hast Du was dagegen, wenn ich am Samstag..." Der Rest versinkt im Nebel, geht in den herrlichen Ausdünstungen des Sauerbratens unter.
"Nein, nein", höre ich meine Stimme von irgendwoher, "mach nur..."
 

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