Warterei
Das Wartezimmer der Hölle enttäuscht mich.
Ein Ficus Benjamin verstaubt in einer Ecke, ein Tischchen mit Zeitschriften,
plastikgelbe Plastiksessel. Ein ausgestopftes Schnabeltier ist diabolischer.
Zwei Damen (Schminke:Körpergewicht = 1:3) verhandeln die Herbstmode. Eine alte
Lady strickt. Ein Herr mit Hut döst und gibt dabei eine Mischung aus Pfeifen,
Todesröcheln und Schnarchen von sich.
Ich warte seit zwei Stunden und bin nur aus Versehen hier. Weil ich gar nicht
gestorben bin. Daran würde ich mich erinnern. Da hat sich so ein Sack von
Bürokratendämon vertan. Nadelstreifenflügel, Hörner nur auf dreifachen Antrag.
Trottel.
Ich warte seit vier Stunden, dreißig Minuten. Sogar wenn ich tot wäre – ich bin
nicht tot, darauf lege ich höchsten Wert – gäbe es keinen Grund, mich in die
Hölle zu schicken. Sonntags in die Kirche, Dienstags für einen wohltätigen Zweck
gespendet, Freitags einen Leserbrief an die Lokalpresse im Dienste des
Allgemeinwohls geschrieben. Habe wilde Katzen gefüttert, Tauben gefüttert, Enten
gefüttert. Zuckerl an Kleinkinder verteilt.
Ich warte seit sieben Stunden. Die Lippenstiftweiber reden nicht mehr über
Herbstmode, sondern über Urlaubsziele, der Schal der alten Lady hat den Boden
erreicht, das Schnarchen des Herrn mit Hut gewinnt langsam an Routine und wird
melodischer. Ich bin nicht tot. Aber mein Kreuz tut weh und mein Kopf auch.
Schon von Anfang an habe ich Kopfschmerzen. Ich habe sämtliche Zeitschriften
durchgelesen. Sie enthalten nur einen einzigen Artikel, in hundertfacher
Ausführung und verschiedenen Stadien der Zerlesenheit. Es geht darin um das
Verhältnis eines Dubliner Kakteenzüchters zur Königin von Saba. Die Tür zur
Anmeldung bleibt geschlossen.
Ich warte seit zehn Stunden. Die Kopfschmerzen zerbröckeln mein Gehirn, mir ist
schwindlig. Längs an meinen Handgelenken habe ich zwei weißliche Narben
entdeckt. Sie sehen aus, als hätte ich sie schon ewig. Ich erinnere mich nicht
an sie. Längs, nicht quer. Der Ficus Benjamin ist aus Plastik. Wenn man quer
schneidet, durchtrennt man nur die Beugesehnen, sechs Wochen Gips. Die
Stricknadeln klappern. Um die Pulsadern richtig zu öffnen, schneidet man längs.
Hinter der Tür mit Milchglasscheibe telefoniert jemand.
Ich warte seit zwei Tagen und stelle mich einer beschissenen Erkenntnis:
Das ist nicht das Wartezimmer.
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