
Mechanische Kraken und grüne Schuhe
Sobald man in einem Kaffeehaus den Kaffee Cafι schreibt, wird Schwarzteetrinkern
nur noch mit Küchenkastenstaub verschnittener Pompadour serviert.
Entaromatisiertes, mehrmals aufgewärmtes Wasser in dem um den Schein zu wahren
apathisch ein Teebeutel hängt und sich langweilt.
Leonard Hofbauer legte einen Würfel Zucker auf seinen Löffel, senkte ihn, den
Tassenrand als Kipppunkt nutzend, ab und beobachtete, wie das Zuckerweiß sich
mit Tee voll sog und dunkler wurde.
Obwohl er noch nicht wirklich alt war, begann sich sein Haar an den Schläfen
bereits zu lichten. Sein Gesicht war rundlich und rötlich, die Nase spitz, die
Augen klein und treuherzig. Solche Menschen wünscht man sich hinter dem
Fahrkartenschalter, wenn man in Eile ist. Sie versprechen Zuverlässigkeit und
hohe Toleranz gegenüber schlecht gelaunten Kunden. Menschliche Stoßdämpfer im
sozialen Gefüge einer leicht reizbaren Gesellschaft.
"Ist der Platz hier frei?", fragte jemand. Leonard blickte auf.
"Bitte... setzen Sie sich."
"Danke."
Er musterte seinen Gegenüber, sein dunkelhaariges, blasses Gegenüber, das
außer ihm der einzige Gast im gesamten Lokal zu sein schien. Um sie herum ein
Wald leerer Tische, bewohnt von durchweichten Glasuntersetzern, liegen gelassenen, benutzen Taschentüchern und halbleeren Gläsern.
Mit einem Anflug psychologischen Scharfsinns erkannte Leonard, dass der junge
Mann mit jemandem sprechen wollte.
"Kann ich etwas für Sie tun?", erkundigte er sich daher.
"Ich will Sie nicht belästigen, nein, das würde ich nie wagen, also, lassen Sie
sich bitte nicht stören."
Leonard seufzte erleichtert auf, hatte jedoch nicht genug Zeit, den Blick wieder
zu senken. "Allerdings, wenn ich es recht bedenke, dann müssen Sie mir zuhören,
es ist dringend, das Schicksal der Menschheit hängt davon ab und Sie sind der
einzige, der hier ist, dem ich es anvertrauen könnte."
"Aha", machte Leonard.
"Mein Name ist hier nicht von Bedeutung Rudolf Sterner, im Übrigen sehr
erfreut, ihre Bekanntschaft zu machen, Herr
?"
"Hofbauer", sagte Leonard.
"Herr Hofbauer, also, wie ich sagte, ich muss mich jemandem anvertrauen."
"Und... was kann ich für Sie tun?"
Rudolf Sterner beugte sich zu ihm vor, sah ihm tief in die Augen und senkte die
Stimme:
"Eine Verschwörung zur Erringung der Weltherrschaft."
Oha, dachte Leonard, einer von DER Sorte. "Und, ähm, wie kommen Sie zu dieser
Information?"
"Psst! Nicht so laut! Ich habe meine Quellen, ich habe meine Quellen, habe sie
von geheimster, sicherster Quelle, meine Information. Die Verschwörer gehören
der Gruppe der buddhistisch-calvinistischen Ökologiebefreiungsfront für Jesus
und die heilige Barbara an.
Sie haben mittlerweile ein weit verzweigtes Netzwerk in fast allen Ländern der
Erde der Vatikanstaat und Bahrain dürften meinen Informationen nach eine
Ausnahme bilden. Sie planen, zuerst die Weltbevölkerung drastisch zu reduzieren.
Dann, wenn nur noch ein Viertel der heutigen Menschheit am Leben ist,
beabsichtigen sie, die Lücke mit Klonen von Helge Schneider zu füllen, die in
eigenen Laboratorien auf dem Mond gezüchtet werden. Die Regierung weiß davon,
tut nichts dagegen, weil auch sie schon infiltriert ist. Die Bevölkerung ist
ahnungslos. Aber ich weiß es, heute ... heute ist der Beginn der Aktion
"Ausrottung" geplant. Und es wird hier beginnen, in dieser Stadt."
Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, mit der anderen umfasste er seinen
eigenen Hals. Eine offensichtlich unterbewusst gesteuerte Bewegung, der
Urinstinkt, in Gefahrsituationen die Kehle zu schützen.
"Und wie ... wie wollen sie die Menschheit ausrotten?", erkundigte sich Leonard
vorsichtig und nahm noch zwei Zuckerwürfel.
"Oh, sie haben mehrere Methoden! In sämtlichen Weltmeeren sind riesige U-Boote
in Gestalt von dreizehnarmigen Riesenkraken stationiert. Sobald ihnen der Befehl
dazu gegeben wird, werden sie die Küstenregionen ansteuern und sich Touristen
zeigen. Sie sind auf gestreifte Bermudashorts und Fotoapparate programmiert.
Diese Sichtungen werden wochenlang auf den Titelblättern aller wichtigeren
Tageszeitungen sein damit, so hoffen sie, werden sie der Tintenfisch-und-Scampi-Industrie
einen schweren Schlag versetzen. Wer isst schon gerne Meeresfrüchtepizza, wenn
er weiß, dass der große Bruder seines Imbisses dort draußen lauert? Die Krise,
in die die Wirtschaft der Mittelmeerländer daraufhin geraten wird, wird den
Weltmarkt mitreißen: Börsencrashs,
Unsicherheit, Panikkäufe, Amokläufe.
Zusätzlich sind ein Comeback-Konzert von Elvis, Auftritte von E.T. in mehreren
Talkshows, das Erscheinen der Memoiren Arnold Schwarzeneggers am europäischen
Buchmarkt und ein Krieg zwischen Amerika und Luxemburg in Planung.
Ist die Weltbevölkerung einmal demoralisiert, wird es leichter, Panik zu
verbreiten, um dann im Hintergrund zu operieren. Dann beginnt der versteckte
Terror, auf den niemand mehr achtet, weil er zuerst ungefährlicher scheint als
das, was die Bürger der Welt jeden Tag offen auf den Straßen erleben werden."
"Bombenattentate?", erkundigte sich Leonard und rührte den vierten Zuckerwürfel
in seinen Tee. Rudolf Sterner schüttelte heftig den Kopf und begann auf seinem
Stuhl vor und zurück zu wippen.
"I wo! Bomben sind passι! Jeder dahergelaufene Wochenendterrorist kommt mit
Bomben! Nein, die buddhistisch-calvinistische Ökologiebefreiungsfront für Jesus
und die heilige Barbara hat Besseres zur Verfügung. Biologische Kampfführung.
Noch heute beginnt es, heute, heute sind die ersten Todesengel unterwegs."
"Ach", machte Leonard. Würfelzucker fünf und sechs landeten in der Tasse.
"Todesengel, sage ich Ihnen, Todesengel. Menschen, die bereit sind, sich für die
Befreiungsfront aufzuopfern. Ihnen wurde vor zwei Tagen ein Erreger injiziert
Inkubationszeit zwei Tage der innerhalb von weiteren zwei Tagen zu ihrem Tod
führen wird. Sie sind jedoch hoch ansteckend und bis zu ihrem Ableben wird ein
jeder von ihnen hunderte von Menschen infiziert haben. Da die Krankheit eine
Abart der Hühnergrippe, die man in den Mondlabors mit dem Fußpilz gekreuzt hat
einen sehr, sehr schmerzhaften Tod zur Folge hat, führt ein jeder von ihnen eine
Selbstmordpille mit sich. Sobald die Symptome juckender Ausschlag, Krämpfe im
rechten großen Zeh und Herzflattern unerträglich werden, betrachten sie ihre
Mission als erfüllt und legen sich auf eine Parkbank zum Sterben nieder. Damit
erreichen sie, dass auch noch etliche Spaziergänger und die Polizisten, die sich
um den Leichenfund kümmern müssen, angesteckt werden. Ja, der Ausschlag ist
besonders schlimm!"
Während er sprach, wurde seine Stimme immer leiser, immer verzweifelter. Nun
schluchzte er auf: "Ich flehe Sie an, Herr ..." "Hofbauer." "Herr Hofbauer, Sie
müssen die Leute warnen!"
Er vergrub den Kopf in den Armen und weinte hemmungslos. "Grüne Schuhe ... grüne
Schuhe mit orangefarbenen Sohlen, daran erkennen Sie sie. Daran erkennen Sie die
Attentäter."
In diesem Moment betraten sehr zu Leonards Erleichterung zwei in Weiß
gekleidete Männer das Kaffeehaus. "Rudi! Ja, da bist du ja! Bist deinem Betreuer
weggelaufen ... tststs ... das darfst du aber nicht!", rief der eine von ihnen.
Der
andere wandte sich an Leonard: "Hat er sie belästigt? Wissen Sie, fremde
Menschen machen ihm Angst. Es war ein Fehler, ihn auf den Ausflug mitzunehmen.
Er hätte in der Anstalt bleiben sollen, wie sonst auch. Komm Rudi, tu nicht
weinen, Rudi, ist ja nicht so schlimm. Jetzt bekommst du eine Spritze und dann
bringen wir dich heim."
"Ja, heim", sagte Rudolf, richtete sich auf, verbeugte sich feierlich vor
Leonard, lächelte ihm aufmunternd zu und ließ sich von seinen Pflegern ohne
Anstalten wegbringen.
Leonard blieb noch eine Weile sitzen und rührte weiter Zucker in seinen Tee, bis
er begann, am Tassenrand auszukristallisieren. Dann war es Zeit. Er stand auf,
zahlte und trat hinaus auf die belebte Straße.
"Seltsame Schuhe", meinte eines der Serviermädchen zu seiner Kollegin.
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