Jenseits von allem

Ich wünschte, ich könnte euch sagen,
was ich fühle; ich wünschte,
ich könnte ein aufrichtiges Wort
der Verzweiflung mit euch teilen,
doch mir bleiben nur Metaphern,
verschnörkelte, unausgegorene Halbwahrheiten,
Hinhaltungsstrategien und Ausflüchte;
ich wünschte, ich könnte bei euch
so ungezwungen mit meinem Elend hausieren
wie andere. Ich wünschte, ich könnte.

Doch ich bin jenseits von allem,
die Einsamkeit ist inzwischen so tief,
so zersetzend, so allgegenwärtig,
dass mich euer Trost und Mitleid
nicht mehr kümmern, nichts mehr angehen;
ich habe eine Art zynisches Vergnügen
entwickelt, euch schmoren zu lassen,
euch mit betretenem Schweigen
zu quälen, um daraufhin Zeuge
des hilflosen, lächerlichen Schauspiels
zu werden, zu dem ihr Zuflucht sucht.
Nur mein Blick ist noch schlimmer.

Wem soll ich etwas vormachen?
In dem geheimen, verwilderten Garten,
wo meine Neurosen und Ängste wuchern
und die letzten Blumen ersticken,
gibt es einen dunklen, modrigen Brunnen,
und in der kühlen, dämmrigen Tiefe zuckt
eine kleine hässliche Larve. Das ist alles,
was von meiner Liebe noch übrig ist.

Ich richte mich selbst zugrunde,
dabei kann mir niemand helfen.
Dass ein Mensch sein eigener Richter
und sein eigener Henker sein kann,
fähig sich selbst zu verurteilen
und hinzurichten, fähig zu sterben,
zu vergehen und alles in sich
zu zerbrechen und auszulöschen,
um dann aus der Asche, dessen,
was er war, den Menschen
zu erschaffen, der er sein will.
Das ist meine einzig verbliebene Utopie.

Ein warmer, schwarzer Klumpen
zieht sich in meiner Brust zusammen,
ein Ekel, ein Befremden ergreift
von mir Besitz, meine eigenen Hände
kommen mir so falsch und fremd vor,
als wären sie aus Wachs oder aus PVC.
Ich falle hinter mich zurück,
mein Körper ist nur noch ein Segel,
das eine unbekannte Kraft vorwärts treibt.
Wie besinnungslos fliehe ich
durch die Stadt, durch die Nacht,
bis ich wieder bei dem kleinen,
von haushohen Platanen umgebenen Spielplatz
hinter der katholischen Kirche bin,
wo nur der Stecknadelkopf eines
gleichgültigen Sterns durch die Äste äugt.

Und ängstliche Gebete, an deren Wirksamkeit
ich gar nicht glaube, steigen aus meinem
mit einem grünen Pelz aus Schimmel
überzogenen Herzen auf. Es ist wahr,
wir haben dem Leiden Paläste errichtet.
Das ist es, das ist mein Leben.
Ein gleichmäßiger Strom der Hoffnung
und des verleugneten Augenblicks.
 

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