Der Speichellecker

Nie werde ich vergessen,
Erschüttert und besessen,
Die Kraft in den Gebeten
Des Hinterhofpoeten,
Euch aber muss genügen
Die Süße seiner Lügen.
Er zieht herum durch Gassen
Und um die Blocks, verlassen
Von Menschheit und Begehren,
Sich redlich zu bewähren,
Es ist ein altes Fieber,
Doch dieses ist ihm lieber
Als die Identität,
In die man schnell gerät.
Er ist ein Parasit
Mit Hang zum Suizid,
Sonst unbekümmert nur,
Von Reue keine Spur,
Und selten wird es besser
Mit dieser Art von Fresser,
Man sollte sie als Föten
Doch kurz entschlossen töten,
Des Lebens Keim zerstören,
Bevor sie uns beschwören:

"Seht, hier ist euer Sohn
Und hier ist auch sein Hohn:
Ich liebe euch für immer!
Doch steht es um uns schlimmer,
Als ihr es wohl erahnt,
Wenn ihr mich dauernd mahnt
An die verdammte Pflicht,
Die mir von Zwängen spricht.
Wir sind ein Fleisch und Blut
Und doch ist diese Brut
Von einer andren Art,
Verloren und vernarrt
In schwankende Choräle;
Ein Knabe mit der Seele
Von einem kauzen Greise,
Geliebt und doch ein Waise;
Ein Kuckucksei, ein Pfand;
Dem Steppenwolf verwandt;
Einsamer Wanderer,
Ich - das ist ein anderer.
Verhasst ist mir die Drohne,
Verhasst ein Dasein ohne
Bestimmung, ohne Ziel,
Beug ich mich diesem Spiel,
Gewöhne mich, ertrage,
Dann ähneln sich die Tage
Und schwinden mir die Jahre
Bis über eine Bahre
Ich in ein kühles Grab
Mein Weg gefunden hab.
Lieber zugrunde gehen,
Als dem ins Auge sehen!
Ja, euren Kampf ums Leben,
Den hab ich aufgegeben
Zugunsten weiter Räume,
Dem kühnsten aller Träume
Und reichen nicht die Sterne,
Dass irgend in der Ferne
Auch jedem einer blinkt
Und ihm zum Glücke winkt?
Die Stimme tief im Innern
Soll mich an das erinnern,
Was ich will, was ich bin,
Ich hab mein eignen Sinn
Doch nur das eine Leben,
Das werd ich nicht vergeben!"

Und die Moral des Gedichts?
Oh weh dem Taugenichts!
Ihm ist die blöde Dichtung,
Die einzige Verpflichtung,
Er zehrt vom vagen Dunst
Der brotlosesten Kunst,
Und kämpft sich aus dem Nebel
Mit einem stumpfen Hebel,
Sein Schrei dringt ihm voraus
Verliert sich im Gesaus.
Und Hunger in den Därmen
Vermindert nicht sein Schwärmen,
Im Wandel seiner Launen
Bleibt einzig dieses Staunen,
Er schaut hinab zum Grunde
Und wartet auf die Stunde,
Wenn sie sich schließlich rächen
Die angeblichen Schwächen.
Das ist recht überheblich,
Doch besser als vergeblich
Sich jeden Tag zu plagen,
Sein Schicksal zu ertragen,
Um ein weiteres Stück
Vom unendlichen Glück
Und allgemeinen Ziel
– Man hat ja nie zuviel! –
Ganz für sich zu ergattern
Und, wie gereizte Nattern,
In Sicherheit es bringen,
In einem zu verschlingen
Und schnell hineinzugieren,
Statt wieder zu verlieren.
Wie jene werten Bürger
Und angesehnen Würger
Die nützlich sich erweisen
Und die genüsslich speisen
Und ihren Körper mästen
Von einem Berg aus Resten.
Sie kriegen einen Bauch
Und ihre Frauen auch,
Wenn keuchend es im Schatten
Gelingt sie zu begatten,
Sie nicken später ein
Im fahlen Fernsehschein
Und wälzen sich und schnarchen,
Wie kränkelnde Monarchen.
Sie tun, was andre wollen
Und treiben ihren Stollen
Hinab zum See aus Feuer
Und Dero Ungeheuer.
Doch ihnen hinterher
Hallt einer Stimme Wehr:

"Ich werde eure Fratzen
Jetzt gleich herunterkratzen
Mit meinen Fingernägeln
Und wider alle Regeln
In Nachwirkung der Schrecken
Die Finger sauberlecken,
Um schließlich aufzuschauen
Zu euch und in das Grauen
Gesichtloser Gesichter
Und matter Augenlichter,
Wie in geraumer Ferne
Die ausgelöschten Sterne
Zu trägen Klumpen stauchen,
In schwarze Kälte tauchen.
Ich sehe eure Beulen,
Ich höre euer Heulen,
Das süße Selbstmitleid,
Den Unterton von Neid.
Ihr seid wie fette Maden,
Die in Erbrochnem baden
Und sich durch Brocken bohren,
Die in der Sonne goren,
Und ihr versickert alle
In eurer Gier und Galle.
Ihr meint das sei obszön?
Ich fänd' es treffend schön,
Wär's nicht nur Schmeichelei,
Ein blasses Konterfei
Im Anhang der banalen
Kapitel der Annalen."

Da hören sie ihn lachen,
Sich lärmend lustig machen,
Doch nicht lang und es speit
Sein Auge Traurigkeit,
Die in ihm kratzt und singt,
Durch seinen Körper dringt
Bis in den Nerv zum Sehen:

"Ich muss euch eins gestehen:
Ich weiß nicht, was passiert,
Vermute es grassiert
Ein Gift in meinem Blut,
Ein Virus namens Wut,
Mein Herz ist ihm ein Nest
Aus dem er Feuer presst
Und aufgestauten Eiter,
Denn in dem Schmerz gedeiht er,
Und düster ist mein Geist,
Ich will, wie er verheißt,
Nie euer Sein ertragen,
Genießen zu versagen,
Genießen und erleiden,
Statt beides unterscheiden.
Ich kann es nicht erklären:
Ich liebe die konträren
Ideen und die Millionen
Von Irritationen,
Die Phantasmagorien
Und meinen lieben Spleen.
Sie ... sie sind meine Drogen,
In ihren warmen Wogen
Aus seltsamen Gefühlen,
Die meinen Geist umspülen
Sind Wut und aller Zorn
Und alle Angst verlor’n.
Und eine Woge nahm
Mir selbst die größte Scham,
Da sah ich, was ich bin:
Ein Wesen das mithin
Entschlossen ist zu leben
Und doch nichts zu erstreben,
Als würdevoll verkommen
Von Luft und Licht benommen
Das Schöne zu verschandeln,
Den Nutzen abzuwandeln,
Den Wert zu ruinieren.
Auf all das urinieren
Und den Konsum beschränken
Und lernen, selbst zu denken."

Am Anfang war das Wort,
Das Wort und ein Akkord,
Gefolgt von einem Reigen,
Am Ende ist nur Schweigen,
Das alles in sich kehrt,
Doch einen Schrei begehrt.
Es lässt sich vieles heilen,
Gefasst in ein paar Zeilen
Zu jambischen Gesängen,
Zu Rhythmen und zu Klängen,
Und pochenden Gedichten,
Die dort auf Form verzichten,
Wo flüchtig ein Moment
Die Wahrheit schwelend brennt,
Wo den spontanen Keim
Vernichten Maß und Reim.
Es sieht, wie er entsteht,
Es sieht, wie er vergeht,
Wenngleich er’s nicht versteht,
Der Hinterhofpoet;
So wandelt sich sein Blick
Durch die Metaphysik
Der kleinen und der großen
Moment-Metamorphosen,
Von einem noch entzückt,
Im nächsten schon entrückt,
Dass ihm das Aug erstarrt
Und irgendwo verharrt,
Wo Stille es umfängt,
Von Dunkelheit bedrängt.
Die Leser sind verstört,
Die Kritiker empört
(Was seinen Sinn betört,
Ist ihnen unerhört):
"Verstopft euch fest die Ohren,
Eh ihren Weg sich bohren
Die zweideutigen Worte,
Um dann an jenem Orte,
Wo’s feucht und dunkel ist,
Die Zelle Zucker frisst
Und des Organes Rinden
Sich weich und schwammig winden,
Gewebe zu zerstören
Und Unheil zu beschwören;
Und stopft ihm seinen Schlund,
Den Honigzungenmund,
Der Ekel uns erweckt,
Obwohl es süßlich schmeckt –
Er tut ihn auf und spricht,
Doch glaubt dem Schmeichler nicht!
Zurück mit ihm ins Loch
Aus welchem er entkroch,
Und war es ein Versehen,
Nicht zweimal soll’s geschehen!"
Derart ist ihre Rede,
Von Hass erfüllt die Fehde,
Doch wenn sie auf ihn spucken,
Wird er es lächelnd schlucken.
 

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