Offenes Voting – September 2004
Das Abstimmungsergebnis
Der Abstimmungsverlauf
Alle Buchvorschläge in der Übersicht
"Die New York Triologie" von Paul Auster
"Das Böse kommt auf leisen Sohlen" von Ray Bradbury
"Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow
"Die Pest" von Albert Camus
"Ubik" von Phillip K. Dick
"Schuld und Sühne" von Fjodor M. Dostojewskij
"Der große Gatsby" von F. Scott Fitzgerald
"Montauk" von Max Frisch
"Geschichte machen" von Stephen Fry
"Der Steppenwolf" von Hermann Hesse
"Memed, mein Falke" von Yasar Kemal
"Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" von Milan Kundera
"Der Zauberberg" von Thomas Mann
"No Exit" von Daniel Grey Marshall
"Die Entdeckung des Himmels" von Harry Mulisch
"1984" von George Orwell
"Der harte Engel" von Adrian Plitzco
"Der Räuber Hotzenplotz" von Otfried Preußler
"Mason und Dixon" von Thomas Pynchon
"Der Funke Leben" von Erich Maria Remarque
"Die Wüste Lop Nor" von Raoul Schrott
"Delphi" von Malin Schwerdtfeger
"Transit" von Anna Seghers
"Dracula" von Bram Stoker
"Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich" von Botho Strauß
"Der Fangschuß" von Marguerite Yourcenar
Vorschläge von Charis
"Die New York Triologie" von Paul Auster
Drei Geschichten, 374 Seiten
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Zitate aus dem Internet - habe das Buch nicht zur Hand: "Die New-York-Trilogie ist das Buch,
mit dem Paul Auster bekannt worden ist. Es besteht aus drei Geschichten, die alle in New York
spielen. Doch dies ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Jeder der drei Romane der 'New York-Trilogie'
wirkt zunächst wie eine klassische, spannungsgeladene Kriminalgeschichte, die den Leser mit
raffiniert ausgelegten 'Ködern' in den Bann zieht. Doch arbeitet Auster nur mit diesen
Versatzstücken. Bald scheinen die vordergründig logischen Zusammenhänge nicht mehr zu stimmen.
Die Rollen der Täter und der Opfer, der Verfolger und der Verfolgten verschieben sich auf
rätselhafte Weise. In Wirklichkeit werden die Detektive auf eine andere Suche geschickt ..."
(Quelle: www.amazon.de
u.a.)
Ich habe dieses Buch ausgewählt, weil ich es damals beim Lesen NIE wirklich kapiert habe ...
und mich eine Diskussion und ein Meinungsaustausch über dieses rätselhafte Buch sehr erfreuen
würde!
"Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow
Roman, 507 Seiten
DTV
"Unglaubliche Dinge geschehen im Moskau der dreißiger Jahre.
Berlioz, der Vorsitzende einer Literaturgesellschaft, und Besdomny, ein junger Lyriker,
diskutieren an einem Frühlingsabend ein von Besdomny verfasstes Auftragspoem, das die
Nichtexistenz Christi beweisen soll. Ein Fremder mischt sich in ihr Gespräch ein, offenbar ein
Ausländer. Dieser erwähnt beiläufig nicht nur, dass er mit Kant gefrühstückt habe, sondern auch,
dass er beim zweiten Verhör Jesu durch Pilatus zugegen gewesen sei. Die Verblüffung der beiden
Literaten [...] erreicht ihren Höhepunkt, als dieser Berlioz mitteilt, ihm werde noch am selben
Abend der Kopf vom Rumpf getrennt. Und seine Worte bewahrheiten sich [...]."
(Quelle: DTV)
"In dem Roman sind Fabel, Legende, Phantasie und Groteske zu einer Einheit verwoben.
Parallelen lassen sich ziehen zu Gogol, Hoffmann, bisweilen zu E.A.Poe, Kafka oder
Dostojewski." (Quelle: The Times Literary Supplement)
Auch bei diesem Buch, bei dem so viel auf zweiter, dritter Ebene zu finden ist, kann ich mir
eine Diskussion sehr reizvoll vorstellen!
Vorschläge von Dirk
"Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" von Milan Kundera
Roman, ca. 300 Seiten
SZ-Bibliothek, Fischer Taschenbuch Verlag
Ich halte dieses Buch für eines der klügsten und unterhaltsamsten Bücher, die
jemals über die Liebe geschrieben wurden.
"Das Datum ist bestimmbar. Als im Frühjahr 1984 die Originalausgabe des Romans
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins in Paris erschien, war dem Autor Milan
Kundera etwas gelungen, was seinen nach 1968 exilierten Landsleuten und Kollegen
verwehrt blieb: er hatte den großen Durchbruch geschafft. [...] Die
verschlungene, mehrfach gebrochene Liebesgeschichte zwischen Tomas und Teresa
gibt den Rahmen ab für einen der witzigsten und intelligentesten Romane der
vergangenen Jahre, der zugleich Leselust und höchste intellektuelle Ansprüche
befriedigt. »Wann werden wir endlich einen deutschen Roman erhalten«, fragte die
›FAZ‹, »der sich so einfühlsam und nachdenklich mit Liebe und Sexualität befaßt
und der das Individuum vor dem Hintergrund des Lebens hier und jetzt zeigt? Ein
Roman, der überdies so intelligent und souverän, so lesbar und so unterhaltsam
wäre?«"
(Quelle: Innentext der Fischer-Taschenbuch-Ausgabe von 1992)
"Die Pest" von Albert Camus
Roman, 349 Seiten
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Ich habe versucht diesen Roman für O livro zu rezensieren. Ich bin gescheitert.
Ich habe versucht, meine Gedanken zu diesem Roman zu ordnen und ihn zu
verstehen. Ich bin gescheitert. Kaum ein Buch hat in den vergangenen zwei Jahren
bei mir einen tieferen Eindruck hinterlassen als dieses. Ich habe bereits
einiges von Camus gelesen, aber dieses Buch ist mit Abstand mein Lieblingsbuch
des französisch-algerischen Nobelpreisträgers.
"Die Stadt Oran wird von rästelhaften Ereignissen heimgesucht. Die Ratten kommen
aus den Kanälen und verenden auf den Straßen. Kurze Zeit später sterben die
ersten Menschen an einem heimtückischen Fieber: Die Pest wütet in der Stadt.
Oran wird hermetisch abgeriegelt. Ein Entkommen ist nicht möglich. Albert Camus'
erfolgreichster Roman gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. In ihm seziert
er hellsichtig das menschliche Handeln im Angesicht der Katastrophe"
(Quelle: Umschlagstext der Rowohlt-Taschenbuch-Ausgabe 1998)
"Die Pest wütet ..." Besonders der erste Teil dieses Umschlagstextes ist
unangemessen reißerisch. Wer jetzt ein äußerliches Horror- oder Albtraumszenario
erwartet, der wird von diesem Buch wahrscheinlich enttäuscht werden. Der letzte
Satz trifft es schon besser: Den Leser erwartet ein moralisches Buch – ein Buch,
das sich mit dem "menschlichen Handeln" beschäftigt. Dabei oszilliert es
zwischen zwei Polen: zwischen einem um Nüchternheit und Sachlichkeit bemühten
Bericht und einer geradezu gespenstischen, ins Metaphysisch-Vieldeutige
abgleitenden Atmosphäre.
Im Zentrum der Handlung stehen einige wenige Charaktere (ein Arzt, ein
Verwaltungsbeamter, ein Reisender, ein Journalist, ein Selbstmörder und ein
Priester). Sie veranschaulichen gleichnishaft, wie unterschiedlich einzelne
Menschen mit Isolation und Bedrohung umgehen und wie sie angesichts einer
ziemlich aussichtslosen und todbringenden Situation reagieren. Das ist das
Schöne an dem Buch: es verallgemeinert nichts, es bewertet nichts, sondern
bemüht sich um multiple Perspektiven. Und doch ist es gleichzeitig ein
eindringlich humanistisches Plädoyer für Verantwortung und Solidarität. Am Ende
wird sich jeder Leser die Frage stellen müssen: was hätte ich getan, wie hätte
ich reagiert?
Vorschläge von Fee
"Die Entdeckung des Himmels" von Harry Mulisch
Roman, je nach Ausgabe zwischen 797 und 867 Seiten
Rowohlt Taschenbuch, Carl Hanser Verlag
Ich habe dieses Buch erst einmal gelesen, aber da hat es mich fasziniert,
begeistert, gefesselt, in seine Welt entführt. Der Inhalt lässt sich schwer in
wenigen Sätzen erzählen. Meines Erachtens ist es eine Liebes- und
Freundschaftsgeschichte um Ada, Max und Onno, die in eine Rahmenhandlung um die
Entdeckung der Gesetzestafeln aus dem Alten Testament eingebettet ist. Es ist
mit 800 Seiten zwar ein eher umfangreiches Buch, aber spannend, amüsant,
gelegentlich bizarr...
Zitat von der Buchrückseite:
"Eine in dieses umtriebige und abgründige Jahrhundert ausschwärmende Geschichte
über eine ungewöhnliche Freundschaft, eine Liebe, die aufmüpfigen sechziger, die
pragmatischen siebziger und die windigen achtziger Jahre und den langen Nachhall
der Kriegs- und Nachkriegszeit; über ein ungewöhnliches Kind, das einen noch
ungewöhnlicheren 'Auftrag' hat; einen Astronomen und Don Juan, der nie zur Ruhe
kommt, und ein Sprachgenie, das in der Politik Karriere macht."
Dieses Buch gilt als das beste und erfolgreichste aller Werke von Mulisch und
hat viel Begeisterung, aber auch manche Kritik ausgelöst (aber mehr wird nicht
verraten).
Zum Autor:
"Harry Mulisch wurde 1927 im niederländischen Haarlem geboren. Die
Auseinandersetzung mit den Gräueln der Naziherrschaft in Holland entspringt
einem autobiografischen Interesse Mulischs: Seine Großmutter und seine
Urgroßmutter starben in Konzentrationslagern, während sein Vater nach Kriegsende
als Kollaborateur zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. So zeichnet sich
eine Vielzahl seiner Romane durch einen schonungslosen, aber differenzierten
Umgang mit der Zeit der Besetzung Hollands durch die Deutschen aus.
International bekannt wurde er mit der Geschichte 'Das steinerne Brautbett'
(1959), die von einem amerikanischen Piloten erzählt, der an der Bombardierung
Dresdens teilnimmt. 1982 wurde der Roman 'Der Anschlag' zu einem überwältigenden
Erfolg. Weitere Romane schlossen sich an, darunter beispielsweise die
international gefeierte Geschichte 'Die Entdeckung des Himmels' (1992). Mulisch
veröffentlichte außerdem auch Dramen, Essays und Gedichte.
Neben Cees Nooteboom gilt Harry Mulisch als der bekannteste Romancier der
niederländischen Gegenwartsliteratur."
(Quelle: Süddeutsche Zeitung)
Ich hoffe, ihr lasst euch begeistern!
"Transit" von Anna Seghers
Roman, 290 Seiten
Aufbau Taschenbuch Verlag
Bis zu meinem Seminar über Exilliteratur im vorletzten Semester hatte ich noch
nie was von Anna Seghers gehört, geschweige denn von ihrem Roman "Transit".
Manchmal bin ich der Literatur um und über das 3. Reich etwas überdrüssig, aber
dieser Roman zeigt einfach eine andere Seite, eine, die man nicht so oft
mitbekommt.
Inhalt: Das ganze spielt in Marseille um 1940 und handelt von Emigranten, die es
so weit, nämlich bis nach Marseille, schon geschafft haben und jetzt auf ihr
Visum, ihren Transit und ihre Schiffe warten und kämpfen. Der Ich-Erzähler ist
selber auf der Flucht und gibt sich jedoch - durch eine Reihe von Zufällen so
gekommen - als jemand aus, der bereits gestorben ist. Er liebt die Frau des
Toten und so ist der tote Ehemann, von dem die Frau nichts weiß, die einzige
Verbindung zu der Frau und gleichzeitig das größte Hindernis. Dies alles
geschieht in den langen Wochen des Wartens auf Visa, Transits, Schiffe...
Zitat von Heinrich Böll aus dem Nachwort: "Es gelingt Anna Seghers das
Unwahrscheinliche, kaum Erklärbare: mit realistischen Mitteln das Unwirkliche
der Situation, das Abstrakte des verrückten Transit-Begehrens,
Transit-Verweigerns zusammenzustellen. Aus einer politisch genau zu
definierenden Situation entsteht ein Roman, der Saga, Epos und Mythos zugleich
ist."
Es hat mich fasziniert, wie gut es Anna Seghers gelingt, den Leser in die
Situation hineinzuverbannen, wie sie ihn fesselt und man den Akteuren irgendwie
zurufen will, was sie doch noch versuchen könnten und wie ihre Probleme gelöst
werden könnten. Wie gesagt, dieser Roman zeigt eine etwas andere Seite, die ich
gerade im Kontext der Auseinandersetzung mit Schriftstellerexilanten und
Exilliteratur besonders interessant fand.
Zur Autorin: "Anna Seghers, bürgerlich Netty Reiling,
geboren 1900 in Mainz, gestorben 1983 in Ost-Berlin, wo sie seit der Rückkehr
aus dem Exil im Jahre 1947 lebte. [...] 1933 emigrierte sie mit ihrem Mann
Laszlo Radvanyi und zwei Kindern nach Paris; nach der Besetzung Frankreichs 1941
Flucht über Marseille nach Mexiko. Diverse Preise, u.a. Büchner-Preis der
Darmstädter Akademie; Autorin von 'Das siebte Kreuz', angeblich das bedeutendste
Buch des Exils über das Dritte Reich." (Zitat Klappentext)
Vorschläge von Hamburger
"Montauk" von Max Frisch
Eine Erzählung, 206 Seiten
Suhrkamp Verlag
Wie jedermann weiß, bemisst sich das Niveau dieses Clubs an Ingeborg Bachmann.
Und wir haben noch gewaltig was gutzumachen bezüglich des nach ihr benannten
Preises.
Das trifft sich ausgezeichnet mit meiner Liebe zu den Büchern von Max Frisch,
denn der liebte vor gut vier Jahrzehnten Ingeborg Bachmann. Er hat sogar ein
Buch darüber geschrieben. Und da bei den letzten Votings meine Max
Frisch-Vorschläge nur knapp scheiterten und dieses Buch das einzige Frisch-Buch
ist, welches Marcel-Reich-Ranicki als würdigen Frisch-Beitrag für seinen
Literaturkanon erachtete (eine einmalige Referenz, oder?), schlage ich es vor.
Zum Inhalt: "Während einer Lesereise lernt Max Frisch (1911-1991) in New York
die halb so alte geschiedene Verlagsangestellte Lynn kennen. Sie verbringen das
Wochenende vom 11./12. Mai 1974 in Montauk an der Nordspitze von Long Island,
aber es ist von Anfang an klar, dass er am Dienstag, den 14. Mai, zurück nach
Europa fliegen und dort am nächsten Tag seinen 63. Geburtstag feiern wird.
Außerdem vereinbaren sie, sich nach dem Abschied weder anzurufen oder zu
schreiben. Allenfalls eine Ansichtskarte am 11. Mai 1975 soll erlaubt sein.
Die Erzählung über die Romanze im Mai 1974 teilt Max Frisch in viele einzelne
Teile auf, die er mit älteren Erinnerungen, Tagebuchauszügen, Selbstreflexionen
und anderem autobiografischen Material zu einer Collage montiert -- wodurch das
Werk über die individuelle Konfession hinausgehoben wird. Der Verzicht auf
Fiktionen und die Beschränkung auf Authentisches machen 'Montauk' gewissermaßen
zum Gegenstück von 'Mein Name sei Gantenbein'"
(Quelle:
Dieter Wunderlich)
"Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich" von Botho Strauß
Roman, 168 Seiten
Hanser Verlag
"Botho Strauß hat eine Liebesgeschichte geschrieben: Ein Mann, eine Ehefrau,
eine Geliebte kommen einander nahe und bleiben einander fremd. Der Autor
betrachtet das Geflecht zwischen den Menschen. Wie so oft erzählt Botho Strauß
ohne epische Handlung, ohne festen Boden, mit kippender Zeit.
'Von einer uneindämmbaren Rede hinweggerissen'... 'ein Chaos von Abirrungen und
verschlungenen Pfaden'... 'ein fortwährendes Verwischen und Entgleiten des
Sinns'. Und so schlendert der Leser nicht nur mit Erzähler und Frau über den
morgendlichen Boulevard, plötzlich getroffen vom dunklen Blick der Geliebten. Er
gerät in einen Taumel von Begebenheiten und Personen, auf der Rolltreppe abwärts
in einen fernen Raum, hört törichte Jungfrauen vor Gericht, sieht eine Dame mit
kosmetisch vergrößertem, puterroten Ohr, eine andere mit Haken an Hinterkopf und
Steiß, schmerzhaft in die Luft gezogen.
'Man träumt immer abwegiger mit den Jahren, der Zug der Bilder entfernt sich aus
der Umlaufbahn der Person' ... 'er gerät nicht selten in die Peripherie des
Irrsinns und der vollkommenen Unkenntlichkeit.' Botho Strauß sehnt sich nach
einer Welt jenseits von Vernunft und Klarheit. Er beschwört einen mythischen
Zustand: Schön und schrecklich soll er sein, den Menschen ganz und gar erfassen,
das Leben nicht enträtseln, sondern verschlingen. 'Er erfüllte lediglich das
Verlangen nach der wieder gefundenen Unfertigkeit und Kindheit aller
Zusammenhänge...'
Der Autor wünscht sich eine romantische All-Einheit und versucht, sie in einem
sprachlichen Taumel herbeizuerzählen. Schon die Romantiker ahnten, dass sie sich
nach etwas Verlorenem sehnten. Die Enttäuschung ihres späten Verwandten Botho
Strauß entlädt sich in der nüchternen Gegenwart: Das Stadtviertel, in dem der
Erzähler ausharrt, liegt brach und verlassen. Die Leute leben zwischen
verwahrlosten Schwimmbädern, mit Brettern vernagelten Leihbibliotheken,
eingestürzten Parkhäusern. Alles Zeichen für die Ödnis ihrer Welt. Abends essen
die Wohlhabenden unter ihnen in einem 'Palast der Luxusleere', einem
weitläufigen Gebäude, in dem die Gäste mutterseelenallein in voneinander
entfernten 'Verzehrbuchten' sitzen. Vereinzelt, isoliert, kennen sie nur die
Oberfläche des Lebens.
Der Witz und die Schärfe von Botho Strauß' Gegenwartszeichnung haben seit den
Stücken der 80er Jahre nachgelassen. Der Beobachter hört in der eigenen Zeit und
Umwelt und Sprache nicht mehr so genau hin. Denn er sieht wie gebannt in 'den
unabsehbaren und alles zermalmenden Fluss der Unwirklichkeit', ... 'der unsere
Fundamente unterspült und unsere Habe davonträgt.'" (Quelle:
Radio Bremen, Autorin: Sandra Kerschbauer)
Vorschläge von Hilbi
"Delphi" von Malin Schwerdtfeger
Roman, 304 Seiten
Kiepenheuer & Witsch
Ohne jede Chance, aber immerhin einer der wenigen deutschen Autor(innen), die
mir wirklich außerordentlich gut gefallen und die hat ein neues Buch
geschrieben und gelesen hab ich's noch nicht, aber werde ich.
"Malin Schwerdtfeger erzählt in ihrem dritten Buch - nach den Erzählungen 'Leichte
Mädchen' und ihrem Roman 'Café Saratoga' - eine Familiengeschichte der besonderen
Art am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wie wurde man erwachsen, was war wichtig, was passierte wann und warum. Die
Fragen, um die es in dieser wunderbar skurrilen und bunten Familienchronik geht,
sind die, die sich alle im Rückblick stellen. Aber wer ist ein
vertrauenswürdiger Zeuge der Vergangenheit? 'Erinnerungen sind wie unscharfe
Filme, wie Gehbehinderungen, Konzentrationsschwächen und Sprachfehler. Sie sind
unzuverlässig, weil ihre Körper unzuverlässig sind. Ihre Augen, Ohren, Gehirne
und Münder sind entweder zu jung, zu alt, zu schwach oder zu selbstverliebt, um
zuverlässige Chroniken zu liefern.' Immer schon ist der, der von der
Vergangenheit spricht, ein in der Gegenwart Verfangener. Deswegen: 'Nicht die
Lebenden erzählen von den Toten, sondern umgekehrt.' So beginnt dieser Roman,
der sich unterscheidet von den gerade Konjunktur habenden Familienbiografien und
Kindheitserkundungen - nicht zuletzt durch seine literarische Mischung aus
kühler Menschenkenntnis und überbordender Fabulierlust."
(Quelle:
RBB, Kulturradio am Morgen, Autorin: Manuela Reichart)
"Mason und Dixon" von Thomas Pynchon
Roman, 1023 Seiten
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Na gut, dann schlage ich noch "Mason und Dixon" vor – von Thomas Pynchon. Aber
ich werde nicht erzählen, dass es in dem Buch um zwei Landvermesser,
Sternengucker und Astrologen geht, wie sie unterschiedlich kaum sein könnten und
doch, wie es immer so ist, na ja, wie es nicht immer so ist, wie es also manchmal
so ist, kommen die zwei ohne einander zwar auch aus, aber irgendwie, na ja, sie
waren halt Freunde.
Aber was erzähle ich da? Wenn man die Geschichte Amerikas kennen lernen möchte,
so ist dieses Buch ein "Muss", es ist aber kein "Muss", weil es für Pynchon,
glaub ich, gar kein "Muss" gibt. Thomas Pynchon ist einer meiner Lieblinge.
Er
gehört zu jenen Autoren, die es fertig bringen, sprechende Hunde auf dem Parkett der
Literatur tanzen zu lassen und ein paar Seiten später über ein Massaker an
Indianern zu schreiben, das durchaus an Ereignisse in der hiesigen Zeit
erinnert. Ich mag Pynchon, weil er die Augen aufmacht, weil er eben kein typischer
Amerikaner ist, schlimmstenfalls ist er ein europäischer Amerikaner, aber jetzt
erzähle ich gar nichts über das Buch.
"Mason und Dixon" gehört zu meinen Lieblingsbüchern, ich lese es gerade zum
zweiten Mal und das kommt immerhin nicht sehr häufig vor. Ein bisschen hoffe ich,
dass es nicht gewählt wird, weil ich es dann zum dritten Mal lesen müsste.
Ach, und wenn schon.
Mason und Dixon ist ein großes und ein sehr kleines Buch. Es ist schnell
gelesen, es ist 1023 Seiten stark.
Vorschläge von Khadija
"1984" von George Orwell
Roman, 280 Seiten
Ullstein Verlag
"'1984' ist der meistgelesene und einflussreichste
Science-Fiction-Roman der Weltliteratur. Mit eindringlicher Schonungslosigkeit
zeichnet George Orwell hier das Zukunftsbild einer durch und durch totalitären
Gesellschaft und eines bis in das Alltagsleben hineinregierenden autoritären
Staates, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, jeden Bürger von der Richtigkeit
seines Tuns zu überzeugen – mit welchen Mitteln auch immer." (Zitat
Klappentext)
Seine düstere Vision wirkt erschreckend real. Beim Lesen fällt immer wieder auf,
dass die Zustände heute gar nicht mehr so weit von dem Schreckensbild, das
Orwell entwirft, entfernt sind.
"Der Funke Leben" von Erich Maria Remarque
Roman, 401 Seiten
Kiepenheuer & Witsch
Das Buch schildert schonungslos die Zustände in einem deutschen KZ. Die Insassen
sind namenlos, nur durch Nummern bezeichnet. Im Lauf der Geschichte lernt man
die Figuren und die Hintergründe ihrer Inhaftierung kennen. Der Krieg nähert
sich dem Ende und es zeigt sich ein Funke Hoffnung im Lager.
Durch seine klare Sprache und seine realistischen Beschreibungen schafft es
Remarque den Leser mitten ins Geschehen zu versetzen. Seine Bilder und
Formulierungen brennen sich ins Gedächtnis, man vergisst sie lange nicht. Das
Buch schafft es, ein Gefühl für jene Zeit zu vermitteln. Besonders glaubwürdig
wird es durch die differenzierte Darstellung der Täter sowie der Häftlinge.
Diese Art der Darstellung berührt mehr als ein mit erhobenem Zeigefinger
geführter Bericht es je könnte.
Vorschläge von Kleinervogel
"Der harte Engel" von Adrian Plitzco
Psychothriller, 300 Seiten
DTV
Unsere Buchhandlung in Beeskow ist klein. Verdammt klein. Und ziemlich
schummerig beleuchtet. Ich glaube, die Versicherung würde nur 10 Mann tragen,
inklusive der Mitarbeiter, wenn dort etwas passieren würde. Hauptsächlich gibt
es dort Bücher, die man so auf dem Lande braucht: Kinderbücher, Bücher über die
Umgebung, Gartenführer. Dann haben sie dort noch drei-vier Drehständer mit
Büchern aller Art (Belletristik, Taschenbücher und was das Herz sonst begehrt
... ), und an der Theke mit der Kasse – da stehen die Thriller und Krimis.
Als mir mal langweilig war, ich Lust auf diesen abgestandenen – aber trotzdem
überaus angenehmen – fast schon dem einer Bibliothek ähnelnden Geruch hatte, bin
ich hinein, habe die halbe Belletristik angesehen, und bei den Thrillern hängen
geblieben. Wie viele Bücher gibt es bloß mit einem Titel, der das Wort "Engel"
enthält?! Spontan kann ich mich noch an "Der vierte Engel" erinnern und "Der
letzte Engel". Doch ein Cover hat mich irgendwie gepackt.
"Der harte Engel" stand auf einem Vorsprung des Holzregals. Ich hatte mich
hingehockt und mir war das schwarze Buch irgendwie ins Auge gestochen. Die rote
Schrift des Titels. Und dann die helle, marmorne Figur darauf. Eine Frau mit
geschlossenen Augen und nach links hängendem Kopf. Ich drehte das Buch um:
"Ich sehe, wie der Mörder auf Maryanne zugeht. Immer wieder sehe ich es,
es ist immer das gleiche Bild, sobald ich die Augen schließe." (Zitat
Buchrückenseite)
Ich machte die Augen zu.
Und ich dachte an ein Haus, in einem dunkelblauen Wald, an eine Frau und wie
jemand zu diesem Haus läuft. Ich habe das Buch zurück gelegt. Aus irgend einem Grund.
Knapp eine Woche später, an einem Donnerstag, morgens kurz nach Neun, weil ich
Donnerstags ja immer früh 2 Freistunden habe, stand ich wieder vor dem
Buchladen. Meiner russischen Austauschschülerin habe ich gesagt, sie möge hier
warten oder mit rein kommen. Ich ging rein. Allein. Stellte mich vor das Regal...
Bekam fast einen Schock, als der Thriller nicht mehr an seinem angestammten
Platz stand. Ich hockte mich wieder hin. Und da war es.
Triumphierend hielt ich es den ganzen Tag in der Hand. Es lag auf meinem Tisch
während der 4 Stunden Unterricht. In der Buchhandlung war ich seitdem nicht mehr.
Jedes Mal, wenn ich das Buch auf meinem braunen Tisch in der Mitte meines
Zimmers sehe, würde ich es am liebsten greifen und mich wissen lassen, warum der
Engel auf dem Cover einen Schnitt auf der linken Brust hat, und blutet ...
"No Exit" von Daniel Grey Marshall
Roman, 400 Seiten
Reclam Verlag
Eigentlich sollte ich ja geheilt sein – jedenfalls von Büchern, die das Thema
"Jugendliche in NY nehmen Drogen" behandeln. Doch ich hatte "No Exit" schon zu
Hause. Es stand seit November 2003 bei mir im Schrank – so wie es eben jedes
Buch bei mir tut. In diesen Sommerferien habe ich mir dann ein Herz gefasst und
es versucht. Ich habe versucht mein durch "Zwölf" (von Nick McDonell)
ausgelöstes Trauma zu überwinden. Also habe ich "No Exit" gelesen. Und gelesen.
Und gelesen. Und an manchen Tagen, an denen ich auf der Terrasse in meinem
blauen Stuhl saß, konnte – und wollte – ich nicht mehr aufhören. Einfach nur
lesen.
Betäubt saß ich nach dem letzten Satz da. Selten war ich über 300 Seiten so
gefesselt – von einer Hauptperson, Jim, gerade mal so alt wie ich, die ein Leben
führt, das von Alkohol, von Irrsinn, von Nihilismus geprägt, irgendwohin
verläuft. Ein Weg, der vom Diebstahl, von Verwahrlosung, von anscheinend
vollkommen fehlender Erziehung zu 100 Prozent vorbestimmt scheint – das Ende ist
entweder der Tod oder der Knast. Und jeder seiner engsten Verbündeten nimmt
letztendlich einen anderen. Weil Mandy so plötzlich ihren Weg selbst wählt,
verschieben sich alle Chancen auf andere Gleise und laufen auf Einbahnstraßen
hin. Leslie zieht sich zurück. Philly entscheidet sich, aber er kann nichts mehr
ändern. Jeremy ist es egal.
Und Jim ? – "Still Can’t See Nothin’ Comin'" (Originaltitel des Buches)
Vorschläge von Oliver M.
"Schuld und Sühne" von Fjodor M. Dostojewskij
Roman, je nach Ausgabe zwischen 700 und 800 Seiten
DTV, Aufbau TB, Reclam, Heyne, Goldmann u.a.
Ich möchte versuchen, den Inhalt des Buches aus dem Gedächtnis wiederzugeben,
wobei sicherlich das eine oder andere zu kurz kommt, seine Vielschichtigkeit
aber hoffentlich nachvollzogen werden kann:
Raskolnikow, Protagonist des Romans, ist Student und bewohnt eine Petersburger
Absteige, ein Loch, die an "Fausts" enge Kammer mit den zu niedrigen Decken
erinnert.
Er hat weder Geld, noch gesellschaftlichen Kontakt. Wir schreiben etwa das Jahr
1865 (Erscheinungsjahr 1866).
Petersburg, als Schauplatz stellvertretend für ganz Russland, ist völlig
heruntergekommen. Es ist Sommer, die Straßen stinken nach Verwahrlosung und
Alkoholismus.
Dostojewskij skizziert – Nietzsche antizipierend – die Situation des
heraufkommenden bzw. ausbrechenden Nihilismus, der politischen und
gesellschaftlichen Orientierungslosigkeit.
Raskolnikow, mittlerweile zu verarmt, um seinem Studium folgen zu können,
philosophiert in seiner Kammer über den "Übermenschen" (im speziellen Napoleon
als dessen Verkörperung): wie weit darf der Übermensch gehen, um seine Ziele
erreichen zu können? Napoleon hat gemordet, massenhaft, ebenso Caesar.
Ist die Handlungsweise des "Übermenschen" durch seine Leistung, seine
Errungenschaften legitimiert, und ist das Leben des einen Menschen weniger wert
als das eines anderen?
Es ist in der Kritik bis heute ungeklärt, ob Raskolnikow bereits zu Anfang des
Romans im Fieber ist (eine damals häufig auftretende und durch etwa
Nahrungsmangel und seelische Not bedingte Erscheinung) oder dieses Folge seiner
Tat, dem Mord an einer Pfandleiherin.
Damit ist auch schon die Handlung umrissen: Raskolnikow mordet aus der
Vorstellung heraus, dass er das Recht dazu habe: sein Leben, sein Weiterkommen
ist mehr wert als das Leben einer "boshaften" alten Wucherin.
Als seine Mutter und Schwester ihn besuchen, ist R. bereits im schweren Fieber.
Die Tat bleibt unbemerkt und das Verbrechen ist ihm nicht nachweisbar.
Paradoxerweise versteckt R. die Beute und bedient sich ihrer nicht; das
vermeintliche Motiv des Mordes, das Geld also, spielt hier keine Rolle mehr.
R. leidet an seinem Gewissen; er hat mit der Pfandleiherin ungeplanter Weise
auch ihre jüngere, unschuldige Schwester ermordet und verkraftet sein
Verbrechen nicht. Er glaubt, sich mit seinem geplagten Gewissen bewiesen zu
haben, dass er nicht der Übermensch sei, den er aus narzisstischen und rein
egoistisch-existentiellen Motiven in sich zu sehen vermeint hat.
Es gibt keinerlei Beweise, Indizien oder Spuren, die zu einer Überführung
Raskolnikows führen könnten, doch der Kommissar Porfirij Petrowitsch wittert
Verdacht.
Er beginnt ein subtiles psychologisches Sezierspiel, um R. der Tat zu
überführen, indem er ihn zum Geständnis drängen will. Damit beginnt auch das
sublime Zwiespiel der beiden. Mit dem Auftreten P. Petrowitschs beginnt der
eigentliche Kriminalroman.
Dostojewskij bleibt in seiner profunden, subtilen Ausleuchtung der Seele bis
heute unerreicht. Was er schreibt, wie er schreibt, ist in seiner Komplexität
mit keiner Seelenkunde, keiner Psychoanalyse beschreib- oder nachvollziehbar. Er
geht weiter und tiefer als jeder Schriftsteller vor und nach ihm.
Dostojewskij ist ein Erlebnis, das man erfahren sollte.
Zum Schluss ein treffendes Zitat: "Keiner hat die komplizierte Zusammensetzung
des Menschen mehr zergliedert als er, sein psychologischer Sinn ist überwältigend,
seherisch. Zur Beurteilung seiner Größe fehlt uns das Maß, er steht allein."
Knut Hamsun
"Der Steppenwolf" von Hermann Hesse
je nach Ausgabe etwa 230 Seiten
Suhrkamp Verlag
Das Buch, das keine Gattungsbezeichnung trägt, erschien 1927 und begründete den
Weltruhm seines Autors.
Ich würde es beschreiben als Reflexion der sozial isolierten und sich selbst
isolierenden Künstlerpersönlichkeit; als eine Art inneren Monologes und
phantasmagorisches Assoziations-Experiment Hesses selbst, ohne dem Werk seine
durchdachte Komposition absprechen zu wollen. "Der Steppenwolf" ist geprägt
durch die Philosophie Nietzsches einerseits und die junge Psychoanalyse
andererseits, jedoch keinesfalls darauf reduzierbar. Ich versuche, den Inhalt
aus dem Gedächtnis wiederzugeben:
Harry Haller wird von einem fiktiven Herausgeber seiner "Aufzeichnungen"
vorgestellt: der introvertierte, ruhige und seltsam anmutende Mann, an die
fünfzig, stellt sich im Haus der Tante des Editors als neuer Untermieter vor. In
dem alten, kleinbürgerlichen Haus erlebt Haller eine Mischung aus kindlicher
Sehnsucht und intellektueller Verachtung, als er eine penibel zurechtgestutzte
Pflanze und das ebenso kleinlich gebohnerte Parkett einer älteren Mitbewohnerin
gewahrt ... doch ich verfange mich in Kleinigkeiten!
Zu Beginn der eigentlichen Aufzeichnungen Hallers teilen sich dem Leser sein
Überdruß am – oder besser – die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben mit. Er
hegt Selbstmordgedanken, jedoch in eben derselben Art und Weise, in der er die
Gedanken zum Leben hegt – mit Gleichgültigkeit. Als er die Kurtisane Hermine und
deren Freunde Pablo und Maria kennen lernt, beginnt er zu hoffen, versucht den
Ausbruch aus seiner Isolation und Weltfremdheit. Hermine bringt ihm das Tanzen
bei, sein vernachlässigtes Sexualleben wird durch Maria stimuliert, zu Pablo
bleibt sein Verhältnis zunächst ein unbestimmt-zwiespältiges.
Er führt phantastische Zwiegespräche mit den "Unsterblichen", mit Mozart (über
die schmähliche Erfindung des Radios) und Goethe, erlebt ebenso phantastische
Verrücktheiten im "Magischen Theater" und philosophiert über die Funktion und
das Wesen des Humors (ein Schlüsselbegriff).
Mit der etwas perplexen Darstellung (ist zu lange her) bin ich wohl an dem
Versuch einer einigermaßen chronologischen Inhaltsangabe gescheitert, bin auch
Autor und Werk nicht gerecht geworden. Trotzdem hoffe ich, Interesse geweckt und
einen Einblick in die Handlung und den Themenkomplex gegeben zu haben.
Vorschläge von Razorback
"Das Böse kommt auf leisen Sohlen" von Ray Bradbury
Roman, 271 Seiten
Diogenes Verlag
Ray Bradbury ist den meisten sicherlich bekannt als der Autor des bei
Englischlehrern extrem beliebten Romans "Fahrenheit 451". Hier kommt die gute
Nachricht: Bradbury ist viel, viel mehr als der Verfasser dieses vergleichsweise
langweiligen SciFi-Romans mit oberstufenrelevanter Moral. Ray Bradbury ist einer
der ganz großen Mythenbildner der Phantastischen Literatur. Der letzte wohl,
der eigenständige Bilder und Symbole gefunden und auf eindrucksvolle Weise
geprägt hat, die bis heute Gültigkeit haben und weit über das Genre hinaus
einflussreich sind. Er steht damit in einer Reihe mit Howard Phillips Lovecraft,
H.G.Wells, Nathaniel Hawthorne, Edgar Allan Poe. Ob Clive Barker, der als
einziger der modernen Autoren entsprechendes Potential hat, irgendwann in dieser
Reihe auftauchen kann, kann erst die Zukunft entscheiden. Bis dahin bleibt
Bradbury der letzte der Großen.
Aber es sind nicht nur Bradburys Ideen, die ihn zu einem herausragenden Autor
machen. Seine Symbolik ist ebenso kreativ wie originell, ebenso kraftvoll wie
unaufdringlich. Seine Fähigkeit, Atmosphäre zu schaffen, ist mit wenig
vergleichbar, großartig.
"Something Wicked This Way Comes" (der Deutsche Titel ist, wie meist, eher blöd)
ist eigentlich eine sehr einfache und typische Geschichte: Das Böse kommt – in
harmloser Gestalt – in eine kleine amerikanische Stadt. Thema ist der klassische
Kampf Gute gegen Böse. Es geht um Freundschaft, Ende der Kindheit und es geht
darum, wie man dem Bösen erliegen und wie man es besiegen kann. Er versteht
etwas von Menschen – egal ob Figuren oder Leser. Bradburys Erzählkunst macht
aus diesem einfachen Setting eine höchst atmosphärische, dichte, wunderbare
Geschichte (Drei Adjektive!!! Er hat sie alle verdient!). Gerade diese
Geschichte, ihre Figuren und Ideen, sind immer wieder kopiert worden. Aber da
eben niemand so erzählen kann wie Bradbury, müssen seine Nachfolger immer
bombastisieren oder vordergründiges Entsetzen säen. Ray Bradbury muss das nicht.
Das Böse ist hier böse. Das reicht.
Das Buch wurde 1962 geschrieben, die Handlung spielt etwas früher.
"Der große Gatsby" von F. Scott Fitzgerald
Roman, je nach Ausgabe zwischen 180 und 254 Seiten
SZ-Bibliothek, Reclam, Klett, Diogenes Verlag u.a.
"Der große Gatsby" von F. Scott Fitzgerald
Das Buch hat mich bis in die Abiturprüfung hinein verfolgt, es ist auch so ein
typisches Englisch-Oberstufenbuch. Mir konnte es kein Lehrer und keine Note
vermiesen, ich habe es von Anfang an geliebt. Ich mag gute Bücher über das
Scheitern, und kaum eines ist so ruhig, so melancholisch, so unkitschig, so
einfach und so schön wie Fitzgeralds Gatsby. In der Schule liest man es meist
als grandiose Schilderung der reichen Gesellschaft in einem bestimmten
Augenblick der amerikanischen Geschichte (1920er Jahre). Das ist es auch, aber
das ist es nicht, was es in meinen Augen so ungeheuer lesenswert macht.
Fitzgerald schildert – sprachlich selbstverständlich brillant – mit sehr
einfachen Mitteln, klarer Symbolik das Scheitern eines trotz all seiner Erfolge
zum Scheitern Verurteilten. Eine kurze, etwas traurige, sehr, sehr lesenwerte
Geschichte.
Ich habe den Roman bisher nur auf Englisch gelesen. Er ist aber jetzt in der
SZ-Bibliothek erschienen, und da vertraue ich mal auf eine anständige
Übersetzung.
Vorschläge von Silentium
"Ubik" von Phillip K. Dick u.a.
Roman, 427 Seiten
Heyne Verlag
Zum Inhalt sagt
www.amazon.de:
"Haben Sie Lust auf ein erfrischendes, wohlschmeckendes Bier? Dann bestellen Sie
ein Ubik. Hergestellt aus hochwertigem, Hopfen und feinem Quellwasser ...
Starten Sie den Tag mit einem Teller gesunder wohlschmeckender Ubik-Flocken!
... Meidet man Sie wegen Körpergeruch? Dann benutzen Sie das Ubik-Deospray ...
Joe Chip ist Angestellter bei Runciters Anti-PSI-Gesellschaft, deren Telepathen
engagiert werden, um andere Telepathen zu überwachen, sie davon abzuhalten, die
Konsumwelt einer nahen Zukunft mit schmutzigen Tricks zu manipulieren. Runciter
selbst vertraut noch immer auf den Rat seiner verstorbenen Frau Ella, die er
regelmäßig aus ihrer Stasis in eine Art Halbleben zurückruft. Jetzt steckt er
allerdings in Schwierigkeiten: Anscheinend verschwinden die Telepathen
weltweit, und niemand weiß wohin. Runciters Ermittlungen stoßen jedoch auf wenig
Gegenliebe: Bei einer Explosion kommt er ums Leben, eindeutig kein Unfall. Von
diesem Zeitpunkt an gerät die Welt für Joe Chip aus den Fugen. Die Zeit scheint
rückwärts zu laufen, und immer wieder tauchen rätselhafte Botschaften seines
verstorbenen Arbeitgebers auf. Das wiederkehrende Schlüsselwort ist Ubik – doch
was ist Ubik?" (Quelle:
www.amazon.de)
Okay, ich weiß, manche hier (zudirkschiel) mögen SciFi nicht besonders. Das
könnte euch eventuell aussöhnen. Minimalmengen an Außerirdischen und UFOs,
ehrlich.
Was Dick treibt: Er pickt sich eine Entwicklung, ein Dilemma unserer
Gesellschaft heraus und denkt sie konsequent zu Ende.
Wie lange darf man jemanden künstlich am Leben erhalten? Was passiert im Kopf
von Quasi-Toten?
Ist das eine Art echtes Leben oder eine virtuelle Realität, ein langsames
Lebenssaft-Auströpfeln, eine statische Agonie?
Im Buch wird einmal erklärt, dass diese Halblebenden, Tote mit intaktem,
anzapfbaren Hirn, nur begrenzt wieder zurückgerufen, kontaktiert werden können.
Sie brauchen sich auf. Wenn das keine interessante Problematik ist: Wir
rationiere ich meinen Vater? Hält Oma noch bis Weihnachten?
Hm, razor kennt sich bestens mit Dick aus und daher begebe ich mich ja
eigentlich auf fremdes Territorium. Ich wage trotzdem zu behaupten: Nix SciFi,
nix Außerirdische, nix Zauberei. Sehr viel ethisches Gedenk mit ein bissl Rätsel
und Ironie rundherum.
"Dracula" von Bram Stoker
Roman, je nach Ausgabe zwischen 473 und 548 Seiten
Ullstein Verlag, Könemann, DTV
Im Forum "Rezensionen" gab's ja schon mal sowas:
"Bram
Stokers DRACULA"
Ich denke, zur Geschichte muss ich nichts sagen? Ein netter Untoter aus den
Karpaten, der gern Hälschen-Beißen spielt und einige Damen, die ins Hälschen
gebissen werden.
Also, warum jetzt? Weil es interessant wäre, darüber zu streiten, warum dieser
Zahnheini solche Faszination ausübt und zwar über Generationen hinweg. Mein
kleiner Bruder feuert im Kino immer die Bösen an und etliche der erfolgreichsten
Musicals haben einen androgynen, zerrissenen Bösewicht ("Tanz der Vampire",
"Mozart"!, "Les Miserables", "Elisabeth"...).
Warum stürzen sich die lesefeindlichsten meiner Mitschülerinnen auf
die (bis auf wenige Ausnahmen) extrem kitschig-schwülen Machwerke von Frau Rice
("Interview mit einem Vampir")?
Vielleicht ist das evolutionstechnisch so veranlagt? Der Mächtige (der mit der
größten Keule, Faustkeil, Schwert, Kanone, Auto) hat gute Fortpflanzungschancen,
wirkt daher anziehend. Und dann hat der Dracula auch noch ein Schloss!
Es wäre vielleicht ganz interessant, vom Herrn Graf ausgehend, den literarischen
Bösling im allgemeinen zu verhandeln. Und nicht zuletzt haben sich anno dazumal altmodische alte Männer darüber aufgeregt.
Vorschläge von Spiderman
"Geschichte machen" von Stephen Fry
Roman, 460 Seiten
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Ich zitiere den Umschlagstext: "Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn Hitler
nie geboren wäre? Den jungen Cambridge-Historiker Michael Young und den
Physik-Professor Leo Zuckermann quält diese Frage und der Wunsch, den Holocaust
ungeschehen zu machen. Sie lassen dem Traum Taten folgen. Auf wunderbare Weise
schaffen sie den Zeitsprung nach Braunau ins Jahr 1888, und als Folge einer
Brunnenvergiftung bekommt Alois Hitler keinen Sohn und das deutsche Volk keinen
Führer geschenkt. Bleibt der Menschheitsgeschichte ihr finsterstes Kapitel
erspart? Zurück in der Gegenwart erwacht Michael in einer anderen Welt..."
Zum Autor, und da zitiere ich wieder den Umschlagstext eines seiner anderen
Bücher: "Stephen Fry wurde 1957 in Hampstead, London geboren. Er unterrichtete
bereits an einer Universität, bevor er selbst eine besuchen durfte, kam wegen
Kreditbetrugs in jungen Jahren ins Gefängnis und verdiente dann rasch seine
erste Million mit einem Theaterstück. Er hat zahlreiche Stücke für die Bühne
geschrieben und in unzähligen mitgewirkt. Als Schauspieler war er auch in 'Oscar
Wilde', 'Peter's Friends', 'Gosford Park' und 'Entdeckung des Himmels' zu sehen. Mit
seinen Romanen 'Geschichte machen', 'Der Lügner', 'Das Nilpferd' und 'Der Sterne
Tennisbälle' avancierte Stephen Fry zu einem führenden Vertreter des britischen
Humors."
Das Buch, ich habe es vor wenigen Wochen gelesen, mag ich als eins der
unterhaltsamsten und geistreichsten Bücher bezeichnen, die ich in den letzten
Jahre gelesen habe. Zugegeben, es ist auch ein sehr gewagtes Buch und die
alternative Gegenwart, die Fry entwirft, bietet Anlass zu zahlreichen
Kontroversen. Daher halte ich es in höchstem Maße für eine ausführliche
Diskussion bei O livro geeignet. Auch die stilistische Gestaltung erscheint mir
durchaus originell. Liest sich locker-flockig, als ginge es um eine Teenie-Love-Story (äh, darum geht es in dem Buch nebenbei auch), dazwischen mit
ernstem Pathos geschriebene Rückblenden und Action in Drehbuchform. Klingt nach
Nonsens? Tatsächlich erscheint mir das Buch gut recherchiert, gut durchdacht und
geht der Frage nach Geschichte mit großer Ernsthaftigkeit nach.
"Der Zauberberg" von Thomas Mann
Roman, 1001 Seiten
Fischer Taschenbuch Verlag
Ach, Lyrik geht nicht, das ist ja blöd. Ersatzvorschlag? Bitteschön: Thomas Mann - "Der Zauberberg"! Warum? Einfach so, ich will eh "Geschichte machen" diskutieren.
Vorschläge von Surjaninov
"Der Räuber Hotzenplotz" von Otfried Preußler
Eine Kasperlgeschichte, ca. 120 Seiten
DTV, Bertelsmann Verlag
"Kasperl und Seppel machen sich auf, den wilden Räuber Hotzenplotz zu fangen,
der Großmutters Kaffeemühle gestohlen hat. Unglücklicherweise fallen sie dabei
in die Hände des Räubers Hotzenplotz und des bösen Zauberers Petrosilius
Zwackelmann." (K. Thienemann Verlag, 1962)
Ich denk ich befinde mich mit meinem Vorschlag allein auf weiter Flur, aber
dafür stehe ich dort neben dem Sieger der Herzen.
"Der Fangschuß" von Marguerite Yourcenar
Roman, 89 Seiten
SZ-Bibliothek
Klappentext: "1919 ist der Erste Weltkrieg zu Ende, doch im Baltikum dauert der
Bürgerkrieg an. Während die Russische Revolution in vollem Gange ist, kommt der
preußische Offizier Erich von Lhomond mit einem Trupp von Weißgardisten nach
Kratovice. Dort begegnet er Konrad von Reval, einem Freund aus Jugendtagen, der
mit seiner Schwester Sophie in einem verfallenen Schloss lebt. Zwischen den
entwurzelten Protagonisten entwickelt sich eine ebenso heftige wie quälende
Dreiecksbeziehung voller Erotik und unerfüllter Begierde. Immer wieder sieht
sich Sophie von Erich zurückgewiesen, der sich anscheinend stärker zu ihrem
Bruder hingezogen fühlt. Vor dem Hintergrund der Kriegswirren entsteht so eine
fesselnde Geschichte von Hingabe und Enttäuschung, ein psychologisches
Kammerstück voller Spannung über das Verlangen und die Liebe.
Marguerite Yourcenars 'Der Fangschuß' (1939) wurde 1976 von Volker Schlöndorff
verfilmt und zählt zu den bekanntesten Romanen der Autorin."
Die Autorin: "Die Erzählerin und Essayistin Marguerite Yourcenar wurde 1903 in
Brüssel als Marguerite de Crayencour geboren. Sie wuchs im französischsprachigen
Flandern auf und begann schon als Jugendliche mit dem Schreiben. Nach dem Tod
des Vaters führte sie ein unstetes Leben und war bis zum Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs beständig auf Reisen. Zu Beginn des Krieges ließ sie sich in den USA
nieder und erhielt 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Unter dem Namen "Yourcenar"
– annähernd ein Anagramm ihres Geburtsnamens – veröffentlichte sie bereits 1936
das Prosagedicht 'Feuer'. Es folgten unter anderem die Romane 'Der Fangschuß',
'Ich zähmte die Wölfin' (1951) und 'Die schwarze Flamme' (1968). Außerdem
übersetzte Yourcenar mehrere Romane aus dem Englischen ins Französische,
veröffentlichte eine Reihe von Essays und unterrichtete französische Literatur
in New York. 1980 wurde sie als erste Frau in die angesehene Académie française
aufgenommen. 1987 starb Yourcenar in den USA." (Quelle:
http://www.sz-bibliothek.de)
Nun, das Buch ist sehr dünn, nur 89 Seiten. Es ist in der SZ-Bibliothek
erschienen, als Band 15, und kostet demzufolge nur 4,90€.
Vorschläge von XRay
"Die Wüste Lop Nor" von Raoul Schrott
Novelle, zwischen 123 und 128 Seiten
Fischer Taschenbuch, Carl Hanser Verlag
Dazu hier mehr:
http://www.perlentaucher.de/buch/3069.html
Die Stimmen zu diesem Werk fallen sehr unterschiedlich aus. Manche halten es für
"Wie Sand und Wasser das Geschiebe der scharfkantigen Dünen durch Raum und Zeit
vorantreiben, so schärft die einfache, klare Sprache Raoul Schrotts Gefühle in
der Erinnerung." (Gennaro Ghirardelli, FAZ, 18.10.2000)
Andere wiederum sind sich da nicht so sicher: "Ein Buch, das ganz sicher keine
Novelle ist, und mich ratlos macht. Ist das die hohe Schule der Poesie oder bloß
ziemlich banaler Manierismus? '... ein dunkles Pochen, gleich dem eines
gebrochenen Herzens.' Irgendwie kann ich mir ein gebrochenes Herz, das noch
pocht, nicht vorstellen. Und einen Ausdruck wie 'bitterlich weinend' würde ich
persönlich nicht verwenden. Jenseits aller Geschmacksfragen: die unwichtigsten
Dinge werden in jeder Einzelheit ausführlichst beschrieben, das wirklich
Wichtige in wenigen Sätzen. Ich traue mir derzeit kein Urteil zu, werde aber den
Verdacht nicht los, dass hier mit Münzen geklimpert wird, die den aufgeprägten
Tauschwert nicht erreichen." (Michael Amon)
Ich denke, das Buch hat Diskussionsbedarf.
"Memed, mein Falke" von Yasar Kemal
Roman, je nach Ausgabe zwischen 330 und 380 Seiten
Unions Verlag
"Memed, mein Falke" wurde in über 40 Sprachen übersetzt und hat Kultstatus nicht
nur in der Türkei. Ich denke, wir könnten neben einem deutschen Buch auch ein
Werk eines ausländischen Autors dagegenstellen, und Y. Kemal ist sicherlich
einer der großen.
Alle seine Bücher erscheinen in Deutschland im Unionsverlag.
1997 hat er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Günter Grass
hielt die Laudatio. Siehe dazu:
http://www.bostonreview.net/BR23.6/grass.html
Hier sind alle Werke Y. Kemals in deutscher Übersetzung zu finden:
http://www.unionsverlag.ch/authors/kemal/kemhome.htm
Und das auch noch:
http://www.nadir.org/nadir/periodika/widerstand/kunst_1.htm
Zum Abstimmungsergebnis geht es hier.